Im Treffpunkt Rotebühlplatz hat der StZ-Redakteur Andreas Geldner die Hintergründe des US-Wahlkampfs und mögliche Folgen für die demokratische Kultur beleuchtet.

Stuttgart - Anfang des Jahres wurde Donald Trump noch als Clown verlacht. Seine Rüpeleien nahm man hierzulande vielfach nicht ernst, der Präsidentschaftskandidat wurde als Auswuchs jener tumben Cowboy-Mentalität abgetan, die den Amerikanern gerne pauschal unterstellt wird. Inzwischen ist die Sichtweise differenzierter: Trump, so steht zu befürchten, ist in seiner radikalen Ablehnung des politischen Systems kein Einzelfall. „Er steht prototypisch für die Krise der westlichen Demokratie“, warnt Andreas Geldner, Wirtschafts-Redakteur bei der Stuttgarter Zeitung am Mittwochabend im Treffpunkt Rotebühlplatz. Im Zuge der VHS-Reihe liefert der langjährige Washington-Korrespondent eine Vielzahl an Hintergrundanalysen und privaten Einsichten, die den Blick auf das Phänomen Trump zwar nicht unbedingt ändern, aber doch schärfen.

 

„Dass ein Kandidat bereits vor der Abstimmung von Manipulationen zu seinen Ungunsten spricht, ist in der Geschichte der USA einmalig“, hebt Geldner einen Punkt hervor, dessen Gewicht zwischen all den frauenfeindlichen Äußerungen, rassistischen Ausfällen und Angriffen auf Hillary Clinton fast aus dem Fokus zu geraten drohte. Das dritte TV-Duell wird den grundlegenden Zweifel am Wahlsystem wenige Stunden später noch einmal in den Mittelpunkt rücken. „Sollte Trump Präsident werden, was ich für ausgesprochen unwahrscheinlich halte, ist genau das eine Gefahr“, so Geldner. „Der Mann erkennt keine Regeln an.“

Im Hause Geldner wird das Thema derzeit ausgespart

Trump sei die Abrissbirne, die damit drohe, das bestehende System zu zerschlagen. Clinton stehe für den Status Quo, ordnet der US-Experte den schwer fassbaren Erfolg des enthemmten Republikaners ein. Hier liege eines der Probleme der amtierenden Außenministerin: „Viele Amerikaner sind zwar nicht überzeugt, dass Trump der perfekte Präsident wäre, aber sie sind sich sicher, dass sie nicht für den Status Quo stimmen wollen.“ Geldner weiß als Ehemann einer Amerikanerin wovon er spricht: Sein Schwiegervater, mit dem er sich ansonsten gut versteht, ist potenzieller Trump-Wähler. Der Austausch über politische Themen liegt derzeit dem Familienfrieden zuliebe auf Eis.

„Richtig spannend wird es für mich erst am Tag nach der Wahl“, kommt der Journalist auf eine weitere Kernfrage des Abends zu sprechen: „Kontinuität oder Revolution?“ Wird Donald Trump als Verlierer einfach klein beigeben? „Es ist durchaus denkbar, dass er weiterhin Unruhe stiften wird“, gibt Geldner zu bedenken. „Er steht ja mit seinen Ansichten nicht allein. Trump repräsentiert eine verbreitete Wutbürger-Wut. Er ist nur der Kanarienvogel, der das Problem sichtbar macht.“

Geldner: kein Anlass für Überheblichkeit

Mit dem Wutbürger ist der Bogen nach Deutschland geschlagen: Die Parolen des egozentrischen Herrn aus Queens zeigen beunruhigende Paralellen zu den Slogans von Pegida. „Wenn wir uns die Krakeeler vom 3. Oktober in Dresden vor Augen führen oder an die Galgen denken, die immer wieder bei Demonstrationen durch die Gegend getragen werden, dann zeugt das von einer ähnlichen Denkweise“, hält Geldner fest. Gleiches gelte für die Bezeichnung der Presse als verlogen und manipulativ. Es bestehe jedenfalls kein Anlass zur Überheblichkeit gegenüber „den Amerikanern“. Der Robert-Bosch-Saal ist an diesem Abend voll. Aus dem Publikum kommen zahlreiche Anmerkungen und Nachfragen. Das Interesse am US-Wahlkampf ist groß. Nicht in erster Linie, weil der Ausgang so spannend wäre, sondern weil Trump ungewollt übergreifende mediale, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen ans Licht bringt, die weitreichende Folgen haben könnten.