In der Causa Wulff stehen auch die Journalisten in der Kritik – und gelten als Miesmacher, Skandalisierer, Kampagneros. Das ist falsch. Ein Gastbeitrag.  

Stuttgart - Dieser Tage erschien die neueste Ausgabe der Branchenzeitschrift „Journalist“, ein Fachmagazin mit hoher Auflage, in dem Journalisten über ihre eigene Branche nachdenken. Es ist ein Heft, das sich der Affäre um Christian Wulff widmet und dessen Titelgeschichte von einer Unkenntnis des eigenen Berufs und der Enthüllungspublizistik zeugt, die ihresgleichen sucht. Hier schreibt der Autor Jan Freitag im Stil eines genervten Lesers: „Es ist einfach zu viel. Zu viel Information, Input und öffentlicher Diskurs“ – und meint vermutlich: Journalisten sollten die Berichterstattung über den Fall schlicht einstellen. Der kuriose Rundumschlag des Autors – Symptom allgemeiner Medienverdrossenheit und einer Mode gewordenen Medienkritik – gipfelt in dem Satz: „Abgesehen vom Eisbären Knut stand die Wucht der Berichterstattung über ein Ereignis wohl nie zuvor in so eklatantem Missverhältnis zu seiner Relevanz.“

 

Wie bitte? Es geht, so gilt es sich zu erinnern, um einen ehemaligen Ministerpräsidenten, der vor dem niedersächsischen Landtag zumindest nicht die Wahrheit gesagt hat, der versucht hat, die missliebige Berichterstattung durch einen Droh-Anruf zu unterbinden und der in seinem politischen Leben offenbar seit Jahren hart am Rande des Anrüchigen balanciert, weil er Politik mit Promi-Business verwechselt. Es geht um einen Bundespräsidenten, gegen dessen ehemaligen Sprecher Olaf Glaeseker die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Bestechlichkeit ermittelt. Der mit einem Privatkredit und Vergünstigungen und Schnäppchen (Urlaubsreisen, Flüge, Hotelbesuche, Parties) für Schlagzeilen sorgt – und der sich entschieden hat, den Skandal um seine Person stoisch auszusitzen und immer nur das einzuräumen, was sich ohnehin nicht mehr verbergen lässt.

Natürlich, man mag einwenden, dass nicht jedes Flug-Upgrading, nicht jedes supergünstig geleaste Auto, nicht jede klebrige E-Mail aus dem Umfeld des Event-Managers Manfred Schmidt eine weitere Titelgeschichte verdient. Aber in der Summe handelt es sich doch um eine Affäre, die Brisanz besitzt. Es geht, ganz schlicht, um die Autonomie des Politischen – und die Frage, wann zu viel Nähe in Korruption und Korrumpierbarkeit umschlägt.

Der Medienjournalismus mäkelt

Journalisten haben diese Frage in den letzten Wochen und Monaten immer wieder auf die Agenda gesetzt und dies (wie etwa im Falle von Karl-Theodor zu Guttenberg) auch gegen den erklärten Willen der einen Hälfte der Bevölkerung, die Christian Wulff gerne weiter im Amt sehen wollte und sehen will. Sie haben sich von den üblichen, ritualisiert vorgebrachten Vorwürfen („Kampagne“, „Hetzjagd“, „Meuteverhalten“ etc.) nicht sonderlich beeindrucken lassen und getan, was sie tun müssen.

Merkwürdig ist hingegen, dass Medienjournalisten die gängige Logik der Skandalisierung selbst skandalisieren, ihre Genervtheit zur Analyse umdeuten – als wüssten sie nicht, dass das Enthüllungsgeschäft seine eigene Regeln kennt. Sie spotten über die „Christian-Wulff-Festspiele“ und die „Medienhatz nach der Wulff-Trophäe“ (so der Branchendienst Meedia). Sie erregen sich mit pausbäckig-wütender Verwunderung darüber, dass einzelne Medien ihre Informationen offenkundig portionieren, dem Skandal ihre eigene Dramaturgie geben – und übersehen, dass dies schlicht zur Normalität des Gewerbes gehört. Nur am Rande sei erwähnt: Hans Leyendecker, einer der wichtigsten Enthüllungsjournalisten der Republik, schrieb zu Beginn der CDU-Parteispendenaffäre insgesamt 115 Artikel innerhalb von vier Monaten und bekannte später, er habe die Geschichte bewusst mit immer einem neuen Dreh und einem Spannungsbogen versehen, um das Thema am Leben zu halten.

Es ist notwendig Verfehlungen zu skandalisieren

Das heißt im Sinne einer verallgemeinernden Bilanz: der Medienjournalismus mäkelt. Und der politische Journalismus publiziert – und reflektiert durchaus selbstkritisch die eigene Rolle, geht in der Regel professionell (und trotz der spürbaren Ermüdung des Publikums) seinem Job nach, der darin besteht, das jeweilige politische Personal einem öffentlichen Eignungstest zu unterziehen.

Für das ersehnte Ende der Berichterstattung gibt es keinen Anlass. Es ist, allgemein formuliert, notwendig, Verfehlungen zu skandalisieren, dabei mit aller Entschiedenheit vorzugehen. Das begründete Miesmachen, die Erzeugung von Vertrauen durch permanent artikuliertes Misstrauen gegenüber Einflussreichen und Mächtigen, gehört zu den verfassungsrechtlich geschützten Kernaufgaben einer freien Presse. Selbstverständlich, Medienkritik ist nötig, aber auch diese Kritik braucht Augenmaß und den gut begründeten Anlass. Im Falle der unendlichen Affäre um Christian Wulff ist sie unberechtigt und falsch.

Autor Bernhard Pörksen, 43, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Er erforscht die Inszenierungsstile in Politik und Medien.