In Deutschland sind sich Verlegerverbände und Journalisten, Politiker und Gerichte einig: ohne Pressefreiheit funktioniert eine Demokratie nicht. In vielen anderen Ländern ist das nicht selbstverständlich. Journalisten werden von Regierungen bedroht, aber auch von Firmen und Kriminellen.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Natürlich ist es schön, einen Preis zu gewinnen. Meistens jedenfalls. Khadija Ismayilova würde auf ihren sicherlich gerne verzichten. An diesem Dienstag bekommt sie den Guillermo Cano World Press Freedom Prize verliehen, zumindest symbolisch. Zur Verleihung nach Finnland kann die Radiojournalistin nicht kommen. Sie sitzt in Aserbaidschan im Gefängnis. Ein Schicksal, das sie mit vielen ihrer Vorgänger teilt, die in den vergangenen Jahren von der Unesco für ihr Schaffen geehrt wurden.

 

Ismayilovas Kollegen aus Syrien, Äthiopien und der Türkei gehörten zu den Preisträgern, andere kamen aus China, Nigeria und Mexiko. Jedem von ihnen wäre es wohl lieber gewesen, an Stelle der Ehrung in einer Welt zu leben, in der er ungestört seine Arbeit verrichten kann. Stattdessen haben sie am Tag der Pressefreiheit die Auszeichnung für Mut und Unerschrockenheit erhalten.

Den braucht es an vielen Orten. Wer auf die Weltkarte blickt, der sieht bei der Pressefreiheit nicht viele dunkle Flecken, sondern einen ziemlich düsteren Fleckenteppich. Das liegt daran, dass Flächenstaaten wie Russland und China mit schlechtem Beispiel vorangehen. 180 Länder führt die Organisation Reporter ohne Grenzen in ihrer Rangliste, Eritrea, Nordkorea und Turkmenistan belegen traditionell die drei letzten Plätze. Dort leben Journalisten besonders gefährlich.

Ein Instrument um Diskussionen anzuregen

Ausgebildete Statistiker werden die Jahr für Jahr erstellte Rangfolge mit einer gewissen Skepsis betrachten. Die Datengrundlage ist dünn. Ein Fragebogen, den Medienvertreter in den entsprechenden Ländern ausfüllen, bildet den Kern der Wertung. Im Schnitt sind es gerade einmal fünf Personen pro Land, die ihre Einschätzung abgeben. Ob Algerien mit Rang 129 tatsächlich einen Platz hinter Kambodscha liegt, ob Bangladesch (Platz 144) wirklich einen Rang vor Gambia zu finden ist – darüber kann im Einzelfall gestritten werden. Doch genau das ist das Ziel, das Reporter ohne Grenzen verfolgt. „Wir wollen ein Instrument bieten, um Diskussionen anzuregen“, sagt Geschäftsführer Christian Mihr.

Und auch wenn im Detail die ein oder andere Ungenauigkeit vorkommen mag – im Großen und Ganzen bietet das Bild eine meist erschreckende Aussagekraft. Mit immer wieder überraschenden Erkenntnissen. Dass Italien auf Platz 77 liegt, eingebettet zwischen der Republik Moldau und Benin, das ist für das Gründungsmitglied der EU kein Ruhmesblatt. Prozessakten belegen, dass zwischen 1960 und 1993 elf Journalisten von Mafiaorganisationen umgebracht wurden. Fast alle arbeiteten in Sizilien und Kalabrien.

„Die Pressefreiheit wird von unterschiedlichen Seiten bedroht, nicht nur durch den Staat“, sagt Christian Mihr. So seien vor allem in Kambodscha und auf den Malediven Unternehmen negativ aufgefallen, die versucht haben, kritische Berichte über Umweltverschmutzung zu verhindern. In Syrien, Mexiko oder dem Irak terrorisieren Banden und Guerillagruppen das Volk und unliebsame Berichterstatter – und auch in Deutschland sind es nichtstaatliche Akteure, die dafür die Verantwortung tragen, dass das Land im Index nach unten gerutscht ist.

Deutschland fällt auf Rang 16 zurück

Um vier Plätze ist die Bundesrepublik im Vergleich zum Vorjahr gefallen und belegt nun Rang 16. Grund dafür sind gewaltsame Übergriffe, die „insbesondere bei Demonstrationen der Pegida-Bewegung und ihrer regionalen Ableger, bei Kundgebungen rechtsradikaler Gruppen oder auf Gegendemonstrationen“ gemeldet wurden, heißt es bei Reporter ohne Grenzen. Insgesamt habe es 39 Vorfälle gegeben.

Das ist wahrlich kein Ruhmesblatt für Deutschland. Aber es gibt auch gute Nachrichten. Eine große Übereinstimmung darin nämlich, dass die Pressefreiheit nicht umsonst im Grundgesetz geschützt ist, dass sie ein unverzichtbarer Bestandteil der Demokratie ist. Der Bund Deutscher Zeitungsverleger und Journalistengewerkschaften sind sich nicht immer grün, in diesem Punkt aber ebenso einig wie Politiker von der CSU bis zur Linkspartei. Verwaltungen mögen genervt sein ob der Anfragen von Journalisten, stellen das Prinzip aber ebenso wenig infrage wie Gerichte. Im Detail kann gleichwohl fröhlich gestritten werden, und dazu braucht es nicht einmal einen Anlass wie das Schmähgedicht von Jan Böhmermann.

Die Rechtsprechung in Mecklenburg-Vorpommern hat Tücken

So spielt im Einzugsgebiet des Amtsgerichts Pasewalk ein Fall, dessen Erregungspotenzial die unendlichen Weiten Mecklenburg-Vorpommerns inzwischen schon hinter sich gelassen hat. Ein Jagdpächter, der ein verendetes Reh an seine Anhängerkupplung gebunden hatte und so über die Bundesstraße schleifte, wurde von der Lokalpresse flugs als „Rabaukenjäger“ tituliert. Dagegen hat er sich zur Wehr gesetzt und vor dem besagten Amtsgericht in Pasewalk recht bekommen. Daraufhin hob ein bundesweiter Sturm der Entrüstung an, die meisten Kommentatoren fürchteten um die Pressefreiheit. Das Landgericht Neubrandenburg sah das anders und hat das Urteil vor wenigen Wochen bestätigt.

Nun sind in der Tat Zweifel erlaubt, ob die ostdeutsche Rechtsprechung auch vor den Augen der Verfassungsrichter in Karlsruhe Bestand haben würde. Allerdings: Allein die teilweise recht hitzig geführte Debatte zeigt, dass es um das Grundrecht der Pressefreiheit nicht ganz schlecht bestellt ist hierzulande. Auch nicht um die Freiheit innerhalb der Medienhäuser. Während die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ wenig Gutes findet an der Rechtsprechung in Mecklenburg-Vorpommern, sieht das die im gleichen Haus erscheinende Sonntagszeitung doch eher anders.

Whistleblower schlagen den Rabaukenjäger

Der Streit um den Rabaukenjäger wird das deutsche Ranking im nächsten Jahr vermutlich nicht wesentlich beeinflussen, Luxemburg hingegen könnte von Rang 15 nach unten rutschen. Im Großherzogtum hat unlängst der Strafprozess gegen die Enthüller der Luxleaks-Affäre begonnen. Die Diskussion darüber, wie Whistleblower und Pressefreiheit unter einen Hut zu bringen sind, steht noch ganz am Anfang – und hat sehr aktuell durch die GreenpeaceAktion mit im Netz platzierten Dokumenten zum streng geheimen Freihandelsabkommen TTIP neue Nahrung erhalten.

Diejenigen, die den Luxemburger Steuerskandal ans Licht gebracht haben, sind für die einen Helden, für die anderen Verräter. Das haben sie mit Edward Snowden gemeinsam, den die US-Regierung per Haftbefehl sucht, seitdem er Journalisten Einblicke in die Geheimnisse der Geheimdienste ermöglicht hat. Die Obama-Regierung verfolgt Whistleblower mit aller Härte. Chelsea Manning, der Zehntausende geheimer Militär- und Datenunterlagen an Wikileaks lanciert hat, bekam 35 Jahre Haft. Insgesamt acht Informanten wurden in den letzten Jahren angeklagt – nach einem Spionagegesetz aus dem Jahr 1917. Mit ein Grund dafür, dass das Land Rang 41 auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt. Einen Platz vor Burkina Faso.