Kaum eine deutsche Tageszeitung hat es versäumt, die Äußerungen der Kanzlerin zu den Themen Terror und Flüchtlinge zu kommentieren. Die einen loben Angela Merkels besonnene Art, andere kritisieren ihre unverrückbare Haltung. Wir bieten einen Überblick über den deutschen Blätterwald.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Die einen loben die Kanzlerin ob ihrer Standhaftigkeit, andere glauben, Angela Merkel sei weit entfernt von den Sorgen und Nöten der Bevölkerung. In einem sind sich die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen jedoch weitgehend einig: der Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Bundespressekonferenz in Berlin am Donnerstag gehört zu den herausragendsten Ereignissen der deutschen Innenpolitik in den vergangenen Wochen. Ein Streifzug durch die Kommentarspalten der Republik.

 

Nürnberger Nachrichten

Angela Merkel hätte jede Menge Gründe gehabt, bei ihrer Pressekonferenz etwas nachdenklich zu sein und nicht all die kritischen Fragen einfach wegzuwischen. Darf denn eine Kanzlerin nach elf Jahren Amtszeit wirklich nicht zugeben, in ihrer Einschätzung auch mal falschgelegen zu haben? Das wäre eine traurige Erkenntnis, denn im Grunde macht das ja einen Menschen erst zum Menschen. Die Chance, in einen ernstzunehmenden Dialog mit den Bürgern einzutreten, hat die Regierungschefin vergeben. Denn vielen ist der Merkel’sche Zweiklang aus Alternativlosigkeit und ‚Wir schaffen das’, mit dem sie seit langer Zeit alles begründet, zu wenig.

Frankfurter Rundschau

Wieder machte dieser Auftritt den Kontrast zwischen der Unruhe im Land und dem Stil der Kanzlerin mit Händen greifbar. Ihre manchmal fast roboterhafte Sachlichkeit hat sich von der Realität noch weiter entfernt. Das Land spürt, dass es nicht mehr genügt, ein Sicherheitsgesetz hier und eine Asylverschärfung dort zu ‚erarbeiten’, damit wir alle so weiterleben können wie bisher. (...) Dieser Moment der Terrorangst wäre der Anlass gewesen, das Verwalten des ‚Weiter so’ durch ein Signal des Aufbruchs zu ersetzen. Er wäre der Anlass gewesen, dem noch einmal bekräftigten ‚Wir schaffen das...’ ein ‚...und zwar so!’ hinzuzufügen.

Badische Neueste Nachrichten

Die Kanzlerin ist sich gestern treu geblieben. Ihre Beschreibung der Lage ist eine nüchterne Analyse, ihr Neun-Punkte-Plan eine Mischung aus Notwendigkeiten, Zugeständnissen und Altbekanntem. Sie verweigert sich damit verlockendem Aktionismus, liegt allerdings mit ihrer Einschätzung falsch, man habe schon viel geschafft in den vergangenen Monaten.

Mittelbayerische Zeitung

Politik sei das starke, langsame Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß, meinte einst der Soziologe Max Weber. Angela Merkel hat sich auf ihrer, wegen der Terrorakte vorverlegten Sommerpressekonferenz als Meisterin im Bohren von Hartholz gezeigt. Sie geht die Fragen, Sorgen und Ängste der Menschen in diesen bewegten Tagen mit Augenmaß, vor allem kühl analytisch an. Leidenschaft freilich lässt die Physikerin der Macht leider vermissen. Angela Merkel gibt die Beschwichtigungskanzlerin. Vieles, was sie sagt, ist richtig und logisch, doch ob sie mit ihrer rationalen Art auch die Empfindungen, die Herzen der arg verunsicherten Bürger erreicht, steht auf einem anderen Blatt.

Berliner Zeitung

Merkel bleibt Merkel. Auch in der Krise. In der Krise erst recht. Aufgewühlte, aufwühlende Worte, weil nach dem hausgemachten gottlosen Terror von links und rechts nun islamistische Gewalt ihre ersten Opfer in Deutschland gefunden hat? Nicht ihr Ding! Die Rhetorik der protestantischen Pfarrerstochter bleibt so schmucklos wie der Gebetsraum einer reformierten Kirche. Das höchste Maß an Dramatik, zu dem die Bundeskanzlerin sich bequemt: Sie zieht ihre traditionelle Sommerpressekonferenz um einen Monat vor.

Leipziger Volkszeitung

Sie glaube nicht, dass sie die Folgen ihrer Politik unterschätzt habe. Das ist eine der wenigen wirklich bemerkenswerten Aussagen aus Angela Merkels sommerlicher Blitzkonferenz. Bemerkenswert deshalb, weil die Kanzlerin wieder einmal nur so tat, als lege sie sich fest, als reagiere sie mit Konsequenz auf eine historisch gefährliche Lage. In Wahrheit gibt es immer nur eine Botschaft: Irgendwie wird es weitergehen, und mit wem wohl sonst als mit ihr? Angela Merkel hat ihren Sommerurlaub unterbrochen, um ihre perfekte Rationalität als nichtssagende Alternative für Rat- und Hilflosigkeit anzupreisen. Das wäre nicht nötig gewesen.

Schwäbische Zeitung

Die deutsche Kanzlerin ist nicht schuld am islamistischen Terror, nicht an den Unruhen in der Türkei, nicht an den Flüchtlingszahlen und noch nicht einmal an der steigenden Ausländerfeindlichkeit im Land. Aber dass sie als Reaktion stoisch auf ihre Neujahrsansprache von 2014 verweist - ‚lauft denen, die Hass in ihren Herzen tragen, nicht hinterher’ - , und ihr Credo vom letzten Jahr - ‚wir schaffen das’ - wiederholt, zeigt, dass sie nicht auf der Höhe der Zeit ist.

Wetzlaer Neue Zeitung

Zwei Signale hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag vor der Bundespressekonferenz gesetzt: Deutschland verabschiedet sich nicht aus seiner humanitären Verantwortung. Und: Deutschland ist so stark, dass es die aktuellen Herausforderungen, die zum Teil damit einhergehen, meistern wird. Die Kanzlerin bleibt sich mit diesem Kurs selbst treu. Deutschland führe am besten, wenn es dasselbe täte - sich treu bleiben, seinen demokratischen und menschlichen Werten, seinen Errungenschaften. Denn sonst schaffen wir nicht, von dem Merkel weiter überzeugt ist, dass wir es schaffen. Das Ziel der Terroristen, die demokratischen Gesellschaften durch Radikalisierung von innen zu zersetzen, darf nicht erreicht werden.

Süddeutsche Zeitung

Merkel würde vermutlich auch den Untergang der Titanic oder eine Rückkehr John Lennons von den Toten als „Bewährungsprobe“ oder „einen interessanten Vorgang“ bezeichnen. Als sie danach gefragt wurde, ob sie nicht manchmal erschöpft sei, sagte sie, sie sei nicht „unterausgelastet“. Wow. Merkel kann, wenn sie sich gerade mal nicht als ANGELA MERKEL fühlt, ganz normal reden. Sie sollte das häufiger und gerade jetzt tun, weil in der Zeit der Äxte und der Rucksackbomben das Vertrauen in ihr Wir-haben-das-schon-immer-so-gemacht-Management stark schwindet.

Die Welt

Die Bürger schätzen Politiker, die selbst im Sturm einen kühlen Kopf bewahren und erst dann auftreten, wenn sie etwas von Belang zu sagen haben. Helmut Schmidt war ein solcher Politiker. Selbst im „Heißen Herbst“ 1977 verbreitete Schmidt das Gefühl, die Geschicke des Landes in der Hand zu halten und wichtigeres zu tun zu haben, als dem Zeitgeist hinterherzurennen. Merkel ist nicht Schmidt. Vor allem fehlt ihr sein geschliffenes Wort. Doch auch sie strahlte auf ihrer Pressekonferenz eine ruhige Willenskraft aus, die ihre Wirkung nicht verfehlen wird. Merkel war so selbstsicher, dass sie sogar ihr „Wir schaffen das“ wiederholte. Auch dieser Satz mag in Terrorzeiten Zuversicht schenken. Allerdings verdeckt er, dass die Bundeskanzlerin ihre Politik längst korrigiert hat. Zwar will Angela Merkel ihren Fehler nicht zugeben, wenigstens aber hat sie aus ihm gelernt. Offene Grenzen für alle wird es nicht mehr geben. Zum Glück.