Der Thronfolger Charles mischt sich gern in politische Fragen ein, auch in schriftlicher Form. Nun soll das Höchste Gericht entscheiden, ob ein Teil seiner Post veröffentlicht werden darf.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Im Grunde geht es nur um 27 Briefe – um ein Bündel Post, das zehn Jahre alt ist. Doch die britische Regierung will sie um jeden Preis geheim halten. Eine Viertelmillion Pfund hat sie ausgegeben, um die Enthüllung ihres Inhalts zu verhindern. Sie, so warnt sie, würde dem nächsten britischen Monarchen „ernsten Schaden“ zufügen. Rechtsexperten im Königreich glauben gar, dass sie den Anfang vom Ende der Monarchie bedeuten würden.

 

Es handelt sich um 27 Schreiben, die der Prinz von Wales zwischen 2004 und 2005 verfasst und an Minister der damaligen Regierung Tony Blairs geschickt hat. In den Briefen versuchte er offenbar, die Politik jener Zeit in seinem Sinne zu beeinflussen. Wegen seiner krakeligen Handschrift sind die Schriftstücke als „black spider memos“ – als Schwarze-Spinnen-Notizen – bekannt geworden.

Politisch hat es das Gekritzel in sich. Die 27 Briefe sind nur ein winziger Teil der vieltausendseitigen Korrespondenz, die der britische Thronfolger über die Jahre mit Regierungsmitgliedern und sonstiger politischer Prominenz geführt hat. Nun soll der Supreme Court, das höchste Gericht Großbritanniens, darüber entscheiden, ob die Briefe veröffentlicht werden können oder unter Verschluss bleiben müssen. Das lang erwartete Verfahren in London wird am Montag eröffnet.

Die persönlichsten Ansichten des Prinzen

Der republikanisch gesinnte Londoner Guardian hat den Fall seit neun Jahren durch alle Instanzen hindurch verfochten. Regierung und Krone haben sich vehement widersetzt. Die Briefe könnten nicht veröffentlicht werden, weil Charles sich „besonders freimütig“ geäußert habe, sagte vor zwei Jahren der damalige Generalstaatsanwalt Dominic Grieve. Sie enthielten „die persönlichsten Ansichten des Prinzen“. Würde ihr Wortlaut bekannt, könnten sie so interpretiert werden, als sei Charles in politischen Fragen nicht immer neutral gewesen.

In der Tat hat der Kronprinz seit langem den Ruf, seine persönlichen Anliegen auf jede nur mögliche Weise – auch heimlich – durchzusetzen. Abgesehen von der Briefflut hat er über seine Schirmherrschaft bei karitativen Organisationen und in Gesprächen mit Regierungsvertretern Entscheidungen zu beeinflussen gesucht. Allein in diesem Jahr soll er sich mit neun Ministern getroffen haben, darunter Premier Cameron und Schatzkanzler George Osborne.

Im Kontrast zur neutralen Mutter

Eine Politik der Einmischung wolle Charles auch als König weiter verfolgen, meldete dieser Tage der Guardian aus der Umgebung des Prinzen. Sie stünde nicht nur im scharfen Kontrast zur sorgsam gewahrten Neutralität seiner Mutter. Es würde auch Fragen zur Rolle der Monarchie generell aufwerfen, etwa darüber, ob ein Monarch über allen Kontroversen stehe oder sich als eine Art Elite-Aktivist betätigen wollte. Wenn Charles letzterem zuneige, müssten die Parlamentarier das debattieren, meinte warnend der Labour-Abgeordnete Roger Godsiff. Sein Parteikollege Paul Flynn, ein Mitglied des Unterhaus-Ausschusses für Verfassungsreform, sagte dem Königreich bei zu viel Eigensinn eines Königs „eine Verfassungskrise“ voraus.

So eine Krise hatte im Frühjahr ein Drama in London unterm Titel „Charles III.“ als Plot, in dem sich Charles als Monarch weigert, ein ihm nicht genehmes Gesetz zu unterzeichnen, wodurch er Unruhen auslöst und zur Abdankung gezwungen wird. Nie zuvor war ein lebendes Mitglied des Königshauses so grob behandelt worden wie in dem Stück. Der Queen hatten Dramatiker immer Respekt gezollt. „Die Königin“, meint der Verfassungsexperte Stephen Haseler, „hat die Monarchie am Laufen gehalten.“ Ihr Sohn aber werde sie „zerstören“.

Schon jetzt sehen Royalisten dem Thronwechsel mit Bangen entgegen. Nun wartet die Nation erst einmal gebannt darauf, wie das Höchste Gericht über die Briefe entscheidet. In dieser Woche ist mit keinem Urteil mehr zu rechnen. Vor ihrem Verdikt über die „spider memos“ werden sich die Top-Richter des Landes ganz schön die Köpfe zerbrechen müssen.