Touristenflüge, Frachtflüge, bemannte Raumkapseln: Aus Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit in der Raumfahrt haben die USA Privatanbietern Tür und Tor geöffnet. Trotz Rückschlägen zeigt sich die Branche dynamisch.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Das Feuerwerk vor der Küste Floridas hatte es in sich. Auf dem Video der privaten Raumfahrtfirma Space-X vom Januar ist zu sehen, wie eine gleißender Lichtball über einem Schiff einschwebt. Dann schlägt das Objekt am Rande des Rumpfes auf. Es blitzt, es kracht – und glühende Teile fliegen in alle Himmelsrichtungen. Das war’s dann mit dem Versuch, ein gerade benutztes Raketenteil auf einer schwimmenden Plattform einzufangen, um es wiederzuverwerten.

 

Und was twitterte der Space-X-Investor Elon Musk gelassen, der von der Raumfahrt so besessen ist, dass er sogar von einer privaten bemannten Marsmission träumt? „Na, wenigstens sollte die Rakete beim nächsten Versuch aus einem anderen Grund explodieren.“ Es ist kein Zufall, dass nicht nur Musk als Gründer des Bezahldienstes Paypal, sondern auch andere Raumfahrt-Entrepreneure wie der Amazon-Chef Jeff Bezos aus der Internetbranche kommen. Sie sind riskante Wetten gewohnt – und haben das nötige Kleingeld.

Rückschläge ändern nichts an den Plänen

Auch zwei spektakuläre Unglücke im Herbst des vergangenen Jahres haben den Trend zur Kommerzialisierung der US-Raumfahrt nicht gestoppt. Der Space-X-Konkurrent Orbital Sciences verlor Ende Oktober eine Rakete beim Start einer Versorgungsmission zur Internationalen Raumstation. Noch schlimmer war drei Tage später der Absturz eines Testflugzeugs von Virgin Galactic, einer Firma für den Weltraumtourismus. Dabei kam einer der beiden Piloten ums Leben. An den Unternehmensplänen änderte das nichts. „Wir sind an der Schwelle einer neuen Ära in der Erkundung des Weltalls. Erstmals in der Geschichte ist der private Zugang zum All fast Routine geworden“, sagt der US-Raumfahrtexperte Piers Bizony.

Private Firmen haben von Anfang an als Zulieferer der Nasa agiert. Lockheed und Boeing haben mit Hilfe staatlicher Subventionen Raketen entwickelt. Auch international ist die Raumfahrt schon länger ein Zwitter zwischen öffentlichem und privatem Sektor. Europa und Russland konkurrieren mit den USA auch um kommerzielle Aufträge. Doch der Staat redet mit. Der neuen Version der Trägerrakete Ariane mussten die zwanzig Mitgliedstaaten der europäischen Raumfahrtagentur Esa zustimmen.

Spektakel für gut betuchte Passagiere

Die US-Raumfahrt war in diesem Rennen lange abgeschlagen. Das teure und komplizierte Spaceshuttle absorbierte über Jahrzehnte einen Großteil der Ressourcen. Im Frühjahr 2010 verordnete US-Präsident Obama der Nasa eine Neuorientierung: Sie sollte sich auf planetarische Missionen und die Internationale Raumstation konzentrieren – für erdnahe Flüge sollten private Anbieter zuständig sein. Mit ihrem Raumfahrtkapitalismus nehmen die USA nun wieder eine Pionierrolle ein.

Hüpfer ins All für betuchte Touristen

Es gibt allerdings einen Bereich, in dem immer private Initiative dominierte. Bei den US-Firmen Virgin Galactic und X-Cor steht das Spektakel für gut betuchte Passagiere im Mittelpunkt. Auch der Amazon-Gründer Jeff Bezos baut mit seiner Firma Blue Origin an einem solchen System. Diese Anbieter beschränken sich auf Flüge, die nur am Rande des Weltraums kratzen: Virgin will 100 Kilometer Höhe erreichen, X-Cor begnügt sich bei manchen Flügen gar nur mit 60. Doch noch hat kein zahlender Passagier abgehoben. Nicht erst der Absturz des Testraumschiffs Space Ship Two von Virgin Galactic hat gezeigt, dass auch solche Kurztrips ins All riskant sind. Die größte Herausforderung für die Firmen ist die Frage, wie die Flüge bezahlbar bleiben. Seit 2001 bietet der US-Veranstalter Space Adventures in Kooperation mit der russischen Raumfahrtagentur Flüge an, bei der die Russen neben zwei Kosmonauten einen weiteren Passagier mit zur Internationalen Raumfahrtstation mitnehmen. Der Preis von mindestens 20 Millionen Dollar und die äußert begrenzte Kapazität machen das zu einem reinen VIP-Produkt. Bisher hat es nur sechs derartige Mitflüge gegeben, die seit 2009 mangels Transportkapazität ausgesetzt sind. Bei Virgin Galactic und X-Cor stehen hingegen rund 700 beziehungsweise etwa 350 Passagiere auf der Liste, die sich für die mit Preisen zwischen 95 000 und 250 000 Dollar pro Person veranschlagten Flüge verbindlich angemeldet haben.

Richard Branson ist etwas vorsichtiger geworden

Der mit einem Alter von mehr als 90 Jahren älteste Kunde von Virgin Galactic dürfte sich allerdings fragen, ob er den Flug je erleben wird. Bereits 2004 hat Virgin Galactic mit einer kleineren Version seines Raumschiffs den Rand des Alls erreicht. Seitdem erklärt der von dem Projekt geradezu besessene Eigentümer Richard Branson Jahr um Jahr, dass der erste kommerzielle Flug vor der Tür stehe. Nach dem Absturz nennt selbst er kein Datum mehr. X-Cor will allerdings noch in diesem Jahr einen ersten Testflug starten und verspricht mutig die ersten Passagierflüge für 2016. Wenn denn alles gut geht.

Bemannte Flüge für die Nasa

Weniger von PR-Aktionen begleitet, aber bereits lukrativ ist das Projekt Raumfahrttaxi für die Nasa. Nach einem langen Auswahlprozess sind zwei private Anbieter übrig geblieben, die 2017 nach sechs Jahren Unterbrechung wieder US-Astronauten mit amerikanischen Vehikeln zur Raumstation bringen wollen. Space-X ist vor allem wegen des Preises auch hier wieder dabei – 2,6 Milliarden Dollar für die Entwicklung eines Raumfahrzeugs und eine Reihe erster Flüge sind geradezu ein Schnäppchen. Ein einziger Flug des Spaceshuttle kostete mehr als 1,3 Milliarden Dollar.

Die Nasa rechtfertigt ihre Präferenz für Boeing

Den zweiten Auftrag hat der Luft- und Raumfahrtkonzern Boeing eingeheimst – gegen den Protest der Sierra Nevada Corporation, die das 4,2 Milliarden Dollar teure Angebot von Boeing mit einem kleinen Spaceshuttle namens Dream Chaser um fast eine Milliarde Dollar unterbot. Die Nasa versuchte die Tatsache, dass Boeing zwei Drittel des vorgesehenen Budgets einstreicht, damit zu rechtfertigen, dass „das Angebot das beste in den Punkten technischer Ansatz, Managementmethoden und früher bewiesene Leistungen“ sei. Ende Januar wurde bekanntgegeben, dass Boeing im Juli 2017 den ersten Flug absolvieren soll. Abgeschlagen ist in diesem Rennen der Amazon-Gründer Jeff Bezos: Obwohl er neben einem suborbitalen Vehikel mit seiner Firma Blue Origin eine Raumkapsel plant, ist die noch nicht von der Rampe gekommen.

Lukratives Frachtgeschäft

Hier hat die kommerzielle US-Raumfahrt die größten Fortschritte gemacht. Space-X hat mit bisher fünf von zwölf vereinbarten Flügen Nachschub zur Internationalen Raumstation gebracht. Auch Orbital Sciences hatte vor dem spektakulären Fehlstart im vergangenen Herbst bereits drei von neun geplanten Versorgungsflügen absolviert. Die Explosion wurde von einem betagten, vom ehemaligen sowjetischen Mondprogramm in den sechziger und siebziger Jahren stammenden Raketentriebwerk verursacht, das Orbital Sciences günstig aufgearbeitet hatte. Mit einem solchen Recycling steht die Firma nicht allein. Auch die Atlas-Rakete, eines der derzeitigen Arbeitspferde der Nasa, wird mit – allerdings neu gebauten – russischen Raketen bestückt. Nun mietet Orbital Sciences Raketen anderer Anbieter. Schon 2015 soll es wieder Flüge geben. Ein Jahr später will man mit einem Triebwerk aus eigener Entwicklung abheben.

Noch spielen die Chinesen keine große Rolle

Im Fracht- und Satellitensegment haben die USA einiges aufzuholen. 2014 absolvierte Russland mit seinen bewährten Raketen 36 kommerzielle und nicht-kommerzielle Starts. Die USA liegen mit 23 auf Platz zwei. Sie werden zudem von den Europäern bedrängt, die ihnen mit sieben Starts zwar nicht in absoluten Zahlen den Rang streitig machen, aber bei kommerziellen Missionen eine starke Marktposition haben. Trotz ihrer 16 Starts spielen die Chinesen international noch eine kleine Rolle. Mittelfristig dürfte es mit Indien, Japan und Israel weitere Anbieter geben.

Private Satellitennetzwerke

Als vor wenigen Tagen Google mit einer Milliarde Dollar bei Space-X eingestiegen ist, hatte der Internetgigant ein innovatives privates Satellitenprojekt im Blick. Hunderte zu einem Bruchteil der bisherigen Kosten mit konventionellen Bauteilen bestückte Minisatelliten sollen das Internet in bisher unerschlossene Regionen bringen. Kurz zuvor hatte die Virgin Group ein ähnliches Projekt mit 648 Minisatelliten angekündigt. Neue, private Anbieter dürften die Kosten der Satellitenstarts deutlich senken. Space-X hat beispielsweise für das Satellitennetzwerk Orbcomm im vergangenen Jahr schon eine ganze Reihe von Kleinsatelliten in die Umlaufbahn gebracht. Frühere Satellitenbetreiber waren auf traditionelle Startmöglichkeiten angewiesen. Inmarsat, ein Betreiber von Satellitentelefonie, der ein Netzwerk von 20 Satelliten besitzt, wurde Ende der siebziger Jahre sogar als UN-Institution gegründet und ist erst seit 1999 privatisiert.

Branche mit Wachstumsaussichten

Die private Raumfahrt könnte in den kommenden Jahren zu einer Boombranche werden. Laut der US-Fachzeitschrift „Spaceflight now“ war 2014 die Zahl der Starts die höchste seit zwei Jahrzehnten. Im Jahr 2015 dürfte sie laut den bisherigen Startanmeldungen übertroffen werden. Seitdem sich die USA für die Kommerzialisierung der Raumfahrt entschieden haben, holen sie kräftig auf. Über die US-Landkarte verteilen sich heute neun private Raumfahrtbahnhöfe – weit über die traditionellen Regionen Florida und Kalifornien hinaus.