Alle Jahre wieder entbrennt in der Karwoche eine Diskussion über das Tanzverbot an stillen Feiertagen. Die Ruhe ist gesetzlich geschützt. Doch ist das noch zeitgemäß? Ein Pro und Kontra.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Es ist still geworden um die Piratenpartei, und still treten deren Aktive auch am Karfreitag in Erscheinung: „Abzappeln gegen das Tanzverbot“ heißt die Veranstaltung, bei der sie nicht heimlich, sondern öffentlich, aber still und leise auf dem Schlossplatz tanzen werden. Mit Kopfhörern statt Ghettoblastern bitten die Piraten zum Tanz. Das Motto „Eure Religion, meine Musik“ hielten sie bei vergangenen Veranstaltungen auf Plakaten hoch.

 

Der Protest richtet sich gegen die Regelung des Sonn- und Feiertagsgesetzes des Landes Baden-Württemberg. In diesem ist festgeschrieben, dass der Karfreitag, wenn Christen des Leidens und Todes Christi gedenken, einer der stillen Feiertage im Jahr ist. Dazu zählen auch der Totengedenktag und der Volkstrauertag im November. An diesen Tagen sind 24 Stunden lang „Veranstaltungen in Räumen mit Schankbetrieb, die über den Schank- und Speisebetrieb hinausgehen“, verboten, ebenso Sportveranstaltungen. Erlaubt ist Hintergrundmusik, kein Tanz, und alles, was „der Würdigung des Feiertages oder einem höheren Interesse der Kunst, Wissenschaft oder der Volksbildung“ dient.

Sperrstundenregelung ist lockerer als das Tanzverbot

Nun hat eine Meldung die Runde gemacht, Baden-Württemberg wolle als eines der Bundesländer mit den schärfsten Gesetzen zum Schutz der Feiertage diese Bestimmungen etwas lockern. Was damit gemeint ist, verrät die Landesregierung gleichwohl noch nicht. Es liegt aber auf der Hand, dass nicht die hohen, sogenannten stillen Feiertage wie Karfreitag gemeint sind: Dieser gilt im Land weiterhin als schützenswert. Eher könnte es sich um die alte Regelung handeln, dass an normalen Sonntagen von drei Uhr an in der Nacht an nicht mehr getanzt werden darf. Das kollidiert mit einer jüngeren Regelung, die die Sperrstunden gelockert hat. „Man kann ja nicht einem Club oder einer Disco erlauben, bis um 5 Uhr geöffnet zu haben und dann ab drei verlangen, dass keiner mehr tanzt“, sagt Martin Treudler, Dienststellenleiter für Gastronomie im Ordnungsamt.

Auch wenn die Behörde darauf beharrt, dass die Club- und Discobetreiber das Verbot respektieren sollen, wird es keine großen Kontrollen in der Karwoche geben: „Das gibt die Beschwerdelage nicht her“, sagt Martin Treudler. Die Betreiber haben es ein Stück weit selbst in der Hand, was sie wagen: „Das ist wie mit einer roten Ampel: Da kann man schon mal drüberfahren, aber man wird halt auch mal erwischt“, erläutert Treudler das Risiko. Die Verstöße können mit Geldbußen von bis zu 1500 Euro geahndet werden.

Tanzverbot wird in der Karwoche nicht streng kontrolliert

„Mich hat es getroffen, zweimal im Club Stereo“, sagt Oskar Ayksel von der Mono Bar. Einmal habe er dann nur die Musik leiser machen müssen, ein anderes Mal musste er 200 Euro bezahlen. „Das ist für mich reine Geldmacherei, es stört ja keinen“, kommentiert Ayksel das Vorgehen der Behörde. Besonders regt er sich darüber auf, dass die Verstöße ihm nach Mitternacht am Karfreitag, also seiner Ansicht nach Ablauf des Tanzverbots vorgeworfen wurden. Da irrt der Gastwirt: Auch am Karsamstag gilt das Tanzverbot noch. „Ich wäre sehr für eine Lockerung der Regel“, sagt Oskar Ayksel. Jeder solle selbst entscheiden können, ob er tanzen oder still den Feiertag begehen möchte, argumentiert er.

„Mit einer Lockerung könnte ich leben“, sagt der evangelische Stadtdekan Søren Schwesig. Jedoch meint er andere Feiertage, und nicht ausgerechnet den Karfreitag. „Der ist nun mal besonders wichtig“, erläutert er. Man müsse akzeptieren, dass Christen an diesem Tag der Trauer Ruhe haben wollen. „Ich wundere mich auch, warum sich die Diskussion immer ausgerechnet am Karfreitag aufhängt“, fügt Schwesig hinzu. Der Volkstrauertag im Herbst sei ein staatlicher Feiertag, an dem ebenfalls ein Tanzverbot gelte. „Da gibt es nie irgendwelche Proteste“, stellt der Dekan fest. Überhaupt kein Verständnis hat der Kirchenmann für die Protestaktion der Piraten – ähnliche habe es auch schon von anderen politischen Organisationen gegeben. „Das dient doch nur der Provokation.“

Was Schwesig noch auffällt: Jahr für Jahr werde zwar in Frage gestellt, ob das Tanzverbot seine Berechtigung habe. „Aber die gleichen Kritiker nehmen das Verbot der Arbeit an den Feiertagen gerne hin und haben frei“, fügt er hinzu. Unterm Strich gehe es bei der Achtung der Feiertagsruhe darum, dass man in einer funktionierenden Gesellschaft Respekt vor einer Gruppe haben müsse – und eben auch mal einen Tag lang auf das Vergnügen verzichtet.

Pro: „Tanzen und glauben lassen“, von Christine Bilger

Eine liebe Freundin trat aus der Kirche aus. Sie verkündete das im Umfeld, verbunden mit Kritik an der Institution Kirche im Besonderen und dem Konzept Religion im Allgemeinen. Ich fragte, ob es in Ordnung wäre, wenn ich den Betrag für ihr Weihnachtsgeschenk fortan für einen guten Zweck spenden würde. Fand sie überhaupt nicht witzig.

Auf den ersten Blick hat diese Episode (die der Freundschaft übrigens nicht geschadet hat) nichts mit dem Tanzverbot zu tun. Oder doch? Ja. Denn wer christliche Feiertage ablehnt beziehungsweise die damit verbundenen Ver- und Gebote als einen Eingriff in die persönliche Freiheit wertet, der hat noch längst nicht den Anspruch auf die angenehmen Seiten des Feiertags verwirkt. So will es der Gesetzgeber, der die hohen kirchlichen Feiertage und Gedenktage unter einen besonderen Schutz stellt. Wem Religion wichtig ist, dem sei die Ruhe an den paar Tagen gegönnt – und allen Nicht-Kirchgängern auch. Dabei geht es nicht um die Frage, welche Religion und welches Wertesystem das öffentliche Leben bestimmt, schließlich leben wir Gott sei Dank in einer pluralistischen Gesellschaft, sondern um eine Tugend, die unabhängig von der geistlichen Orientierung jedem einleuchten sollte: Es geht um Respekt.

Im Übrigen ist die Aufregung ja auch überzogen: Auch dem Ordnungsamt ist bekannt, dass man am Karfreitag in der Stadt reichlich Gelegenheit findet, das Tanzbein zu schwingen. Solange sich niemand gestört fühlt, wird nicht eingegriffen – eine schwäbisch-liberale gelassene Haltung, an der sich die lautstarken Gegner der stillen Feiertage mal ein Beispiel nehmen können.

Kontra: „Neue Impulse sind gefragt“, von Lukas Jenkner

Das Tanzverbot ist nicht mehr zeitgemäß und gehört abgeschafft. Es steht für die Bevormundung des freien Bürgers durch den Staat und die Kirchen. Der Staat sollte nur so weit in das Leben seiner Bürger regelnd eingreifen, wie es für ein friedliches Miteinander notwendig ist, und die Kirchen haben sich vollends herauszuhalten. Anders kann das Zusammenleben in einer multikulturellen und pluralistischen Gesellschaft, zu der das deutsche Gemeinwesen längst geworden ist, nicht funktionieren. Ein Tanzverbot hat da keinen Platz mehr, es ist Menschen, die mit dem Christentum und dessen Konzepten entweder nichts anfangen können oder es sogar ablehnen, nicht zuzumuten.

Das Tanzverbot steht für mich auch stellvertretend für einen Grundpfeiler fast jeder Religion, nicht nur des Christentums, das Konzept von Geboten und Verboten: Tue dies nicht, sondern jenes, und du erlangst Erlösung. Ich möchte als moderner und aufgeklärter Mensch aber nicht vorgeschrieben bekommen, was ich zu tun habe, sondern bestenfalls von Ideen überzeugt werden. Wie viel schöner wäre es, wenn die Kirchen und der von ihnen vertretene Glaube so attraktiv und anziehend wären, dass sich die Tanzflächen von selbst leerten und die Kirchenschiffe füllten.

Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, und Verbote sind keine Lösung. Ändern müssen sich vielmehr Ritus und Liturgie, mit denen die Kirchen den höchsten Tag des christlichen Jahres traditionell begehen. Wie viel bunter, fröhlicher und lebensbejahender es zugehen kann, wird zweifellos in wenigen Wochen einmal mehr der evangelische Kirchentag zeigen.