Seit Ende 2012 sind in der Region Stuttgart die vier Altkennzeichen NT für Nürtingen, LEO (Leonberg), VAI (Vaihingen/Enz) und BK (Backnang) wieder erhältlich. StZ-Redakteur Kai Müller hält die Schilder für ein Angebot, das den Nerv der Zeit treffe, Lokalchef Holger Gayer findet es unnötig und sogar für die Polizei hinderlich.

Stuttgart - BB oder LEO? LB oder VAI? OG oder doch lieber KEL, LR, WOL oder BH? In zwölf von 44 Stadt- und Landkreisen von Baden-Württemberg haben die Autofahrer die Qual der Wahl, wenn sie ihr Auto anmelden. Insgesamt 15 von 31 Autokennzeichen, die seit der Gebiets- und Verwaltungsreform im Jahr 1973 im Südwesten von den Straßen weitestgehend verschwunden waren, sind inzwischen wieder offiziell als Fahrzeugkennzeichen erhältlich. An Bestandsfahrzeugen wurde das Kennzeichen bis zur Stilllegung oder bis zu einem Halterwechsel in der Regel nicht ausgetauscht. Vor allem an landwirtschaftlichen Fahrzeugen waren daher die alten Kennungen immer wieder zu sehen.

 

BK-Kennzeichen gibt es vielleicht schon bald in drei Kreisen

In der Region Stuttgart wurden seit der Genehmigung Ende 2012 vier Altkennzeichen wieder neu eingeführt: NT für Nürtingen im Landkreis Esslingen, VAI für Vaihingen/Enz im Kreis Ludwigsburg, LEO für Leonberg im Landkreis Böblingen sowie BK für Backnang im Rems-Murr-Kreis. Mehr als 54 000 Fahrzeuge sind heute mit solchen Altkennzeichen ausgestattet.

Kennzeichen mit den Anfangsbuchstaben BK können aber nicht nur bei der Kreisverwaltung des Rems-Murr-Kreises in Waiblingen beantragt werden. Auch im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt werden BK-Kennzeichen ausgegeben. Sie ergänzen – ebenso wie die Altkennzeichen HDL, OC, WMS, WZL – die Kennzeichen mit den Anfangsbuchstaben BÖ und OK, die bis Ende 2012 fünf Jahre lang alleine für den Börde- und den Ohrekreis gestanden hatten. Aus diesen war der Landkreis Börde im Zuge einer Kreisgebietsreform 2007 gebildet worden.

Schon bald soll man BK-Kennzeichen aber auch bei der Schwäbisch Haller Kreisverwaltung wieder beantragen können. Der Haller Kreistag hat sich Ende Oktober für die Wiedereinführung von BK-Kennzeichen ausgesprochen, da ein Teil des Haller Landkreises – nämlich die Gemeinden Gaildorf, Fichtenberg, Oberrot und Sulzbach-Laufen – einst zum Kreis Backnang gehörten und Fahrzeuge dort mit BK-Kennzeichen versehen waren. BK wäre dann die dritte Kennzeichenvariante, die im Haller Kreis vergeben werden kann, neben CR für Crailsheim und SHA für Schwäbisch Hall. Ob und wann die Zeichenfolge BK als neues Altkennzeichen aber kommt, ist derzeit noch offen. Bevor der Kreis Schwäbisch Hall einen entsprechenden Antrag beim Verkehrsministerium stellen kann, müssen der Rems-Murr-Kreis und der Landkreis Börde erst einmal ihren Segen zu dem Vorhaben geben.

Ralf Bochert hat für Renaissance der Kennungen gesorgt

Dem im Stuttgarter Stadtteil Dürrlewang lebenden Professor Ralf Bochert ist es zu verdanken, dass die Altkennzeichen eine Renaissance erleben. Der Professor für Tourismusmanagement an der Heilbronner Hochschule hat sich für die Wiedereinführung dieser Nummernschilder stark gemacht – dies nach einer von ihm initiierten Umfrage, bei der sich 72 Prozent der rund 50 000 Befragten in 200 Städten für die Wiedereinführung ausgesprochen hatten. Bochert war und ist davon überzeugt, dass viele Fahrzeughalter mit ihrem Kfz-Kennzeichen auch ihre Identifikation mit ihrer Heimat ausdrücken. Bocherts vehementer Einsatz für die Wiedereinführung der „verlorenen Kennzeichen“ führte schließlich zum Erfolg. Der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) gab 2012 grünes Licht für die Wiedereinführung der Altkennzeichen.

Wie das Landesverkehrsministerium auf Nachfrage der Stuttgarter Zeitung mitgeteilt hat, gibt es in jenen zwölf weiteren Verwaltungsbezirken des Südwestens, in denen die Ausgabe der bis dahin gültiger Kennungen mit der Gebiets- und Verwaltungsreform im Jahr 1973 eingestellt wurden, bislang kein Interesse, die Altkennungen wieder zu reaktivieren.

Möglichkeiten von Namensspielen

Die Altkennzeichen werden nach Auskunft der Kraftfahrzeugzulassungsstellen zumeist von Bürgern beantragt, die im entsprechenden Altkreisgebiet leben oder zu diesem einen ganz besonderen Bezug haben. Die Kennzeichen bieten aber auch neue Möglichkeiten von Namensspielereien oder für Buchstaben- und Zahlenkombinationen, die mit dem für die Region geltenden Hauptkennzeichen nicht oder nicht mehr möglich sind.

Dusan Minic, Sprecher des Landkreises Böblingen, weiß, dass es „Antragsteller von LEO-Kennzeichen gab, denen beispielsweise wichtig war, die Namen Leon oder Leoni auf dem Nummernschild zu haben“. Andere hätten LEO-Kennzeichen beantragt, da bestimmte Zahlenfolgen und Buchstaben-Zahlen-Kombinationen noch verfügbar waren, die bei den BB-Kennzeichen bereits alle belegt waren.

So beliebt sind die wieder eingeführten Altkennzeichen

BK
: Das Kennzeichen BK (Altkreis Backnang) tragen im Rems-Murr-Kreis knapp 13 000 Fahrzeuge bei einem Gesamtbestand von aktuell rund 340 000 zugelassenen Fahrzeugen. Bei den Neuzulassungen in den ersten sieben Monaten des vergangenen Jahres haben von insgesamt 1036 Autohaltern aus Backnang 557 und damit mehr als die Hälfte das BK-Kennzeichen beantragt.

LEO
: Im Landkreis Böblingen sind Ende 2015 rund 20 100 Fahrzeuge mit dem LEO-Kennzeichen ausgestattet gewesen, bei rund 290 000 zugelassenen Fahrzeugen im gesamten Kreisgebiet. Im Bereich des Altkreises Leonberg sind etwa 70 000 Fahrzeuge zugelassen. Somit beträgt die LEO-Dichte in diesem Gebiet rund 28 Prozent.

NT
: Im Landkreis Esslingen haben Ende 2015 von 411 245 Fahrzeugen 14 605 das NT-Kennzeichen. Im Bereich des einstigen Landkreises Nürtingen sind 12 823 mit dem NT-Kennzeichen ausgestattet, während in den Altkreis-Kommunen insgesamt 175 060 Fahrzeuge angemeldet sind. 7,32 Prozent haben im Gebiet des Altkreises Nürtingen also ein NT-Kennzeichen.

VAI
Das Kennzeichen für den Altkreis Vaihingen ist inzwischen auf rund 6600 Fahrzeugen zu finden. Bei der Gebiets- und Verwaltungsreform im Jahr 1973 war der Kreis Vaihingen knapp zur Hälfte im Kreis Ludwigsburg und im Enzkreis aufgegangen. Vermutlich aus diesem Grund fallen die Zahlen geringer als in anderen Kreisen aus. Im gesamten Kreis Ludwigsburg sind aktuell rund 402 000 Fahrzeuge angemeldet.

Pro Altkreiskennzeichen – jedes Kürzel ist ein Stück Heimat

Auf Deutschlands Straßen herrscht wieder Vielfalt, zumindest wenn es um die Kennzeichen geht. Das freut Rätselfreunde, die nun bei Fahrten auf ganz neue Buchstabenkombinationen stoßen. Wer weiß schon, dass sich hinter MED, die 7000-Einwohner-Stadt Meldorf im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein verbirgt. In jedem Kürzel liegt da eine ganz neue Würze. Aber dies ist natürlich nicht der einzige Grund, der für die Wiedereinführung von Altkennzeichen spricht. Die Buchstabenkürzel sind für die Städte und Gemeinden Gold wert. Es ist ein kostenloses Marketinginstrument, das für die jeweilige Kommune wirbt. Der bürokratische Aufwand hält sich zudem in Grenzen, so dass die neuen Altkennzeichen ein Erfolgsmodell sind. Und ganz wichtig dabei: Einem jeden bleibt die Entscheidung selbst überlassen, ob er beispielsweise mit VAI oder LB durch die Gegend fährt.

Man mag jetzt trefflich darüber streiten, dass ein bestimmtes Kürzel auf dem Nummernschild ein typisches Erste-Welt-Problem ist, von dem weder Wohl noch Wehe abhängt. Dagegen ist schwerlich zu argumentieren. Anderseits, warum sollte man dem Bürger diese kleine Freude nicht gönnen? NT und LEO stehen in der Gunst der Autofahrer hoch im Kurs, eben weil man stolz auf seine Heimatkommune ist und sich dort Zuhause fühlt. Da fährt man auch gern das passende Kürzel spazieren. Dabei muss es gar nicht sein, dass der NTler das ES kategorisch ablehnt. Aber er wohnt halt nun mal in Nürtingen und nicht in Esslingen. Nicht umsonst heißt es: „Think gobal, act local“ („Global denken, lokal handeln.“)

Für einen jeden ist es wichtig, Wurzeln zu haben und die hat jeder eben in der Stadt oder der Gemeinde, in der er wohnt und lebt. Und wenn dies noch durch VAI, BK oder NT unterstützt und verstärkt wird, ist das doch grandios. Und seien wir mal ehrlich, warum jemand überhaupt auf die Idee kommen konnte, die geniale Abkürzung LEO abzuschaffen, das erschließt sich ja nun wirklich nicht. Bei den neuen Kennzeichen handelt es sich daher keinesfalls um einen unnötigen Wildwuchs, sondern um ein Angebot, das den Nerv der Zeit trifft. Die Zahlen über die ausgegebenen Kennzeichen sprechen eine klare Sprache.

Kontra Altkreiskennzeichen– Eindeutigkeit hat Vorrang

Natürlich wäre es vollkommen verfehlt, wenn man den Bürgern nun auch noch vorschreiben wollte, wie sie ihr Heimatgefühl am besten auszudrücken haben. Die eine tut das, indem sie sich im örtlichen Geschichtsverein engagiert, der andere bäbbt ein Kleberle mit dem Wappen seiner Heimatstadt auf den Kofferraumdeckel. Beiden Entscheidungen ist eines gemein: Sie sind höchst persönlich, höchst individuell und beschäftigen niemand anderen. Im Gegenteil: zumindest im ersten Fall leistet die beschriebene Person auch noch etwas für die Allgemeinheit. Da kommt die Liebe zur Scholle auch noch anderen zugute. Besser geht es nicht.

Bei der Frage nach der Wiedereinführung der Altkennzeichen ist das anders. Völlig ohne Not wurde da eine sinnvolle und funktionierende Regelung verwässert. Das Autokennzeichen ist eben keine individuelle Verbundenheitsadresse an den eigenen Wohnort, sondern ein blechgewordenes amtliches Dokument. Es folgt einem eingängigen System, das seit Jahrzehnten eingeführt und in der Bevölkerung geübt ist. Die ersten ein, zwei oder drei Buchstaben markieren die Zulassungsstelle des Fahrzeugs, also den jeweiligen Stadt- oder Landkreis. LEO, VAI oder NT sind aber keine existierenden Landkreise mehr, sondern Relikte aus der Vergangenheit, die ein jeder gerne verklären darf – aber bitte nicht auf einem amtlichen Kennzeichen.

Wozu das sonst führt, zeigt die Buchstabenkombination BK. Es gibt nun zwei davon: die eine im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt, die andere im Rems-Murr-Kreis, der ordnungsgemäß WN heißt. Dass es auf die Art nicht einfacher wird, die Herkunft eines Fahrzeugs zu bestimmen, liegt auf der Hand. Vor allem in Ausnahmesituationen wird dies jetzt noch schwieriger. Wie soll irgendjemand nun auf den ersten Blick unterscheiden können, aus welchem Teil der Republik das Motorrad mit BK-Kennzeichen stammt, das das eigene Auto am Supermarktparkplatz gestreift hat – zumal, wenn man sich den weiteren Teil des Kennzeichens nicht merken konnte?

Nein, auch wenn etliche Menschen die Altkennzeichen mögen, sie zu verwenden ist komplett überflüssig. Sein Heimatgefühl kann man auch anders demonstrieren.