Ausreichend Wasserflächen fürs Schulschwimmen gibt es nur in der Theorie: Regelmäßig schließen Bäder wegen Sanierung, oder Schulen reservieren Zeiten, die sie gar nicht benötigen.

Stuttgart - In den nächsten Tagen wird der neue Sportbürgermeister Martin Schairer (CDU) ein klärendes Gespräch mit der gerade im Ressort Schule debütierenden Kollegin Isabel Fezer (FDP) führen müssen. Thema: der Schwimmunterricht in den unteren Klassen. Die Nichtschwimmerquote bei Kindern zwischen sechs und elf Jahren beträgt mehr als 50 Prozent. Diesen Missstand will Schairer ändern. „Jedes Kind muss schwimmen können“, sagt er. Das ist zwar lebenserhaltend, aber aus vielen Gründen längst nicht mehr selbstverständlich, meistens liegt es an der mangelnden Motivation im Elternhaus. Allerdings ergibt sich nach Ansicht von Praktikern auch bei der Organisation des Schwimmbetriebs erheblicher Optimierungsbedarf. Davon will die Stadt freilich nichts wissen: Das Verfahren zur Vergabe der Nutzungszeiten habe sich bewährt, teilt sie mit.

 

Die Bäder werden immer wieder saniert

Was die Bäderplanung insgesamt angeht, seien die Grundschulen mit den vorhandenen Wasserflächen mengenmäßig versorgt. Die Verwaltung schränkt aber gleichzeitig ein, dass dies nur für die Zeit gelte, in der kein Bad wegen Sanierung geschlossen ist – das kommt allerdings so gut wie nie vor. Auch deshalb wird – trotz des neuen Sportbads im Neckarpark, das 2020 eröffnen soll – wieder über eine Sanierung des Stadtbads Cannstatt statt über dessen Abriss diskutiert. Es brauche mehr Bäder für Schulen und Schwimmkurse, wenn man das Problem ernst nehme, das durch den hohen Anteil von Nichtschwimmern unter den Flüchtlingen noch verstärkt wird. Das Bad in Zuffenhausen schloss zuletzt wegen Brandschäden, Plieningen und Vaihingen sind betroffen, und im kommenden Jahr macht für eine ganze Weile das Stadtbad Untertürkheim dicht.

Auch in Feuerbach gibt es Probleme, weil das dortige Stadtbad seit Juli und noch bis zum Herbst 2018 auf Vordermann gebracht wird. Für die Rosensteinschule sind das schlechte Nachrichten, ebenso für die Schwimmschule der Sportvereinigung Feuerbach. Alternativen im Stadtgebiet bot die Stadt nicht an. Und in den Umlandgemeinden? Dort gebe es auch kaum freie Zeiten, Verlegungen seien nur im Ausnahmefall möglich, hieß es. „Im Bedarfsfall werden Kontakte vermittelt“, die Vereine gingen dann selbst auf die Betreiber zu, teilte die Stadt mit.

Das hat der Vereinsvorsitzende Rolf Schneider anders in Erinnerung: Man habe ihm gesagt, es gebe keine Verbindungen – dann hat er in Korntal-Münchingen selbst Nägel mit Köpfen gemacht. Emanuel Vailakis wiederum, der Geschäftsführer des Schwimmverbands Württemberg, hat für die Rosensteinschule eine Lösung gefunden: das Therapiebecken des Robert-Bosch-Krankenhauses. Und die Schwimmabteilung des PSV weicht nach Leinfelden-Echterdingen aus. Auf die Frage, ob die Stadtverwaltung überhaupt alle Wasserflächen erfasst habe, antwortet sie: „Ja – zumindest was die städtischen Hallenbäder und die Lehrschwimmbecken an Schulen angeht. Informationen über Hotelbäder etc. liegen nur teilweise vor.“

Schwimmunterricht fällt häufig aus

Defizite gibt es auch bei der Verteilung der Bäderzeiten für die Grundschulen, denen der Bildungsplan in den Klassen zwei und vier die Vermittlung zumindest einer Schwimmart vorschreibt. Die städtischen Bäderbetriebe stellen den Schulen und Vereinen Zeitkorridore zur Verfügung, das Schulverwaltungsamt vergibt die Zeiten an die einzelnen Schulen, die bis Anfang Oktober beantragte, aber doch nicht benötigte Schwimmstunden melden müssen. „Trotzdem kommt es vor, dass Kapazitäten ungenutzt bleiben“, gibt die Stadt zu.

Das habe verschiedene Gründe, etwa krankheitsbedingte Ausfälle der Lehrer und ein Mangel an rettungsfähigen Pädagogen. Die Motivation der unterlassenen Rückmeldung ist klar: Die Schulen fürchten den dauerhaften Verlust dieser Stunden und halten deshalb still. Es wäre ohnehin schwer, freie Bäderzeiten umzuverteilen, verteidigt die Stadt dieses Verhalten. Es müsse ja zufällig Schulen geben, die zu diesen Zeiten Sportunterricht hätten.

Wie gering allerdings das Interesse der 72 Stuttgarter Grundschulen an einer Verbesserung der Situation ist, zeigt die Rückmeldequote eines Fragebogens des Schwimmverbands. Gerade einmal zehn Antwortbriefe auf das Angebot eines Anfängerschwimmprojekts gingen ein. Julia Hirte, Referentin für Verbandsentwicklung im SVW, mag nicht glauben, dass die übrigen 62 Schulen keine Probleme mit Nichtschwimmern haben.

Das „Seepferdchen“ ist kein Retter

Vailakis hat die zehn interessierten Grundschulen besucht, dort wird er ein Mentorenprogramm installieren. Lizenzierte Übungsleiter werden für 25 Euro pro Stunde im Regelschwimmunterricht Methoden zum Anfängerschwimmen vermitteln. Bezahlen soll das die Stadt, die Sportkreisjugend hat 15 000 Euro beantragt. Davon profitieren die Schüler, sie sollen aber auch mehr erreichen als es die Seepferdchenprüfung verlangt: 25 Meter schwimmen im warmen Wasser sei keine Garantie, im Meer eine Gefahr zu überstehen, warnt Vailakis. Er sagt, Ziel des Unterrichts müsse sein, am Ende der vierten Klasse den Freischwimmer zu erhalten. Das Abzeichen verlangt die 200 Meter in 15 Minuten; man muss zwei Meter tief tauchen und vom Ein-Meter-Brett springen.

Kinder müssen weite Strecken zu Fuß gehen

In den zehn interessierten Schulen hat der Schwimmverband manche Hemmnisse identifiziert. Die Wilhelm-Hauff-Schule und die Grundschule Gaisburg verfügen nicht über geeignete Lehrer, die Sommerrainschule hat zu große Gruppen, und die Kinder der Ameisenbergschule haben fast 25 Minuten Fußweg zu absolvieren, weil die Distanz zum Leo-Vetter-Bad nach Ansicht der Stadt keinen Bus rechtfertigt.