Die Sorge um eine aus dem Ruder laufende Energiewende ruft Wirtschaftsvertreter und Gewerkschaften auf den Plan. Gemeinsam mit der IG Metall schmieden die Wirtschaftsverbände BDI und DIHK ein Bündnis, um die Politik wachzurütteln.

Berlin - Die Sorge um eine aus dem Ruder laufende Energiewende ruft Wirtschaftsvertreter und Gewerkschaften auf den Plan. Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung wollen Wirtschaftsverbände und Arbeitnehmerorganisationen in einer konzertierten Aktion auf Fehlentwicklungen bei der Energiewende hinweisen. Für die Zeit nach der Bundestagswahl seien gemeinsame Auftritte und Aktionen geplant, um auf die Gefahren für den Industriestandort Deutschland aufmerksam zu machen, hieß es übereinstimmend in den Verbänden. Im laufenden Bundestagswahlkampf machen sich die Unternehmens- und Gewerkschaftschef allerdings wenig Hoffnung, dass sie Gehör zu finden. Mit der gemeinsamen Initiative wollen die Tarifpartner deshalb erst nach dem 22. September an die Öffentlichkeit treten.

 

Anlass für den Schulterschluss ist die wachsende Sorge über schlechtere Standortbedingungen für die Industrie. „Investitionen wandern schleichend ab“, sagte der Chef des Industrieverbandes BDI, Ulrich Grillo, der StZ. Viele Unternehmen seien wegen steigender Energiepreise verunsichert und zögen daraus Konsequenzen. „Am Erfolg oder Misserfolg der Energiewende hängen viele 100 000 Jobs“, sagte Grillo. Ähnlich sehen das auch andere Wirtschaftsverbände. Eric Schweitzer, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) sagte, steigende Energiekosten gingen zu Lasten der Attraktivität des Standorts. „Gesunkene Energiepreise in anderen Ländern verstärken diesen Trend“, so Schweitzer.

Allein die energieintensive Industrie beschäftige dem BDI-Präsidenten zufolge 900 000 Menschen in Deutschland. Dazu gehören etwa Chemieunternehmen und Aluminiumhersteller. Ein schwäbischer Unternehmer wies unlängst in kleiner Runde darauf hin, dass eine steigende Zahl von Unternehmen wegen der Energiepreise darüber nachdenke, verstärkt im Ausland zu investieren. Aus Sicht der Betriebe wögen die Probleme bei der Energiewende inzwischen sogar schwerer als die Sorgen um die Eurokrise, sagte der Chef eines baden-württembergischen Familienunternehmens.

Alarmsignale nicht übertrieben

Die Gewerkschaften halten die Alarmsignale aus der Wirtschaft nicht für übertrieben. Der designierte Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel, forderte in einem FAZ-Interview eine große Koalition aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte, damit die Schockstarre im Energiebereich überwunden werde. „Sonst stehen wir bald vor einer industriepolitischen Katastrophe“, sagte der künftige IG-Metall-Chef. Nach StZ-Informationen sind die internen Vorbereitungen für ein gemeinsames Vorgehen der Sozialpartner weit gediehen.

Die IG Metall sieht laut einem Positionspapier durch die ungelösten Probleme der Energiewende 200 000 Arbeitsplätze bedroht. Die Gewerkschaft bemängelt, dass es an einer konsequenten Umsetzung der Reformen mangele. „Quer über alle Energieträger fahren Betriebe geplante Investitionen zurück, geben Geschäftsfelder auf und schließen Werke. Tausende Arbeitsplätze werden abgebaut“, heißt es in dem Papier der IG Metall. Sie bezieht sich dabei beispielsweise auf Stellenstreichungen bei Herstellern von Windkraftanlagen. Die Gewerkschaft beobachtet, dass viele Betriebe wegen der Unsicherheit Investitionen und Standortentscheidungen hinauszögerten.

Entscheidende Phase

Der DIHK-Präsident sieht die Energiewende in einer entscheidenden Phase. „Einerseits haben wir einen raschen Ausbau der erneuerbaren Energien. Andererseits ist dieser Ausbau zu teuer erkauft“, sagte Schweitzer. Allein in diesem Jahr zahlten Wirtschaft und Verbraucher mehr als 20 Milliarden Euro für die Erneuerbaren. Die Wirtschaft verlangt eine grundlegende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.

Verärgert sind Unternehmen und Gewerkschaften, weil die Politik ihre Zusage zu einer umfassenden Planung nicht eingehalten habe. „Die Bundesregierung lehnt sich zurück, und die Länder kochen jeweils ihre eigene Suppe“, sagte der künftige IG-Metall-Vorsitzende. Aus der Wirtschaft ist der Vorwurf zu hören, in der Regierung gebe es noch immer keine Gesamtsteuerung. Das Wirtschaft- und das Umweltministerium arbeiteten gegeneinander anstatt miteinander. Die Regierung habe die Probleme unterschätzt, heißt es.