Mehrere Stunden lang und unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat die Opposition Baden-Württembergs Justizminister zu den kritischen Vorgängen im Bruchsaler Gefängnis befragt. Die Affäre ist für Stickelberger noch nicht ausgestanden.

Stuttgart - Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) hat am Montag versucht, sich in der Affäre um den Hungertod des Gefangenen Rasmane K. in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal Luft zu verschaffen. Bereits vor seiner Anhörung vor dem Ständigen Ausschuss des Landtags – sechs Stunden sollte sie andauern – verschärfte er noch einmal die Regeln für die Einzelhaft in den Gefängnissen. Künftig, so verfügte Stickelberger, muss jeder Fall einer Einzelhaft an das Ministerium gemeldet werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die Einzelhaft drei Monate und länger andauert und damit genehmigungspflichtig ist oder nicht.

 

Vor allem aber, das wurde parallel zur Ausschusssitzung bekannt, verabschiedet Minister Stickelberger den langjährigen Leiter der Strafvollzugsabteilung im Justizressort in den Ruhestand. Der 65-jährige Ministerialdirigent Ulrich Futter hatte seine Dienstzeit über die übliche Frist hinaus verlängert und wollte noch eine Weile im Amt verbleiben. Jetzt muss er aber doch gehen. Futter ist seit 1994 für den Strafvollzug im Land zuständig. Zuletzt hatte sich allerdings herausgestellt, dass entgegen den Vorschriften Gefangene in Einzelhaft saßen, ohne dass die obligatorische Prüfung durch das Ministerium vorlag. Der CDU-Abgeordnete Bernhard Lasotta spricht bereits von einem „Systemversagen, bei dem die gesetzlich vorgeschriebene Zustimmung zur Einzelhaft im Hause des Justizministers ungenügend gehandhabt wurde“. Das traf nicht nur für Rasmane K. zu. Stickelberger musste einräumen, dass wohl auch in einem weiteren Fall ein Gefangener im Frühjahr 2014 in Einzelhaft saß, „ohne dass die Zustimmung des Ministeriums dafür eingeholt wurde“.

Die Gretchenfrage lautet nun, ob Stickelberger im Amt verbleiben kann. Der Justizminister ließ nach der Anhörung im Ausschuss keinen Zweifel daran, dass er im Amt zu verbleiben gedenkt. Auf die Frage, ob er persönliche Konsequenzen ziehe, antwortet der Minister: „Konsequenzen ziehe ich laufend.“ Er sieht sich in der Pflicht, bei den Abläufen sowohl im Strafvollzug wie auch in seinem Ressort dafür Sorge zu tragen, dass sich Ereignisse wie der Hungertod des Rasmane K. – in der Justizgeschichte des Landes singulär – nicht wiederholt. Der Mann aus Burkina Faso, der im badischen Kehl seine Lebensgefährtin grausam getötet hatte, verweigerte in der JVA Bruchsal die Anstaltskost und ernährte sich lediglich von Müsli, das er in Wasser auflöste. Der 33-Jährige litt offenkundig unter Verfolgungswahn und glaubte, man wolle ihn im Gefängnis vergiften. Der Anstaltsleitung wird vorgeworfen, einen psychisch kranken Menschen in der Einzelzelle mehr oder weniger sich selbst überlassen zu haben. Die Bediensteten kommunzierten zuletzt nur noch über die Klappe in der Zellentür mit ihm. Der Gefangene habe am Ende nur noch apathisch auf dem Bett gelegen, berichtet das Justizministerium an den Landtag. Aus der Zelle drang strenger Geruch. Gegen den Leiter der JVA Bruchsal und eine Gefängnisärztin ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung.

Forderungen nach Untersuchungsausschuss im Raum

Unmittelbar im Anschluss an Stickelbergers Auftritt vor dem Ausschuss wurden seitens der Oppositions noch keine Rücktrittsforderungen laut. Der CDU-Abgeordnete Bernhard Lasotta wollte zunächst die Beratungen in der CDU-Fraktion an diesem Dienstag abwarten. Gleichwohl deuteten seine Äußerungen auf einen Entlassungsantrag im Parlament. Auch die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss steht im Raum. Lasotta monierte: „Der Minister hat viel geredet, aber wenig gesagt.“ Stickelberger versage sich seiner politischen Verantwortung, weil er die Aufklärung über Mängel im Strafvollzug und in der Aufsicht durch sein Haus nicht zur Chefsache gemacht habe. „Minister Stickelberger hat nicht für klare Führung in seinem Haus gesorgt.“ Der Vorsitzende des für Recht und Verfassung zuständigen Ständigen Ausschusses, Stefan Scheffold (CDU) stellte fest: „Es wurden Berichtspflichten verletzt und Missstände nicht eingeräumt.“

Das konzidierte auch der Grünen-Abgeordnete Jürgen Filius. Das Ministerium hätte von sich aus nachfragen müssen, wie es um den Fall Rasmane K. stehe. Allerdings sei die Vielzahl der Häftlinge in den Gefängnissen zu berücksichtigen. Außerdem sei erst durch diesen Fall erkennbar geworden, dass die langjährige Praxis des Ministeriums, auf eine korrekte und umfassende Berichterstattung durch die Justizvollzugsanstalten zu vertrauen, nicht tragfähig sei. Filius Fazit: „Das Versagen lag nicht im Justizministerium, sondern in Bruchsal.“

Stickelbergers Vorgänger Ulrich Goll (FDP) will vor einer Rücktrittsforderung erst den Ausgang der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abwarten. Für ihn stellt sich die Frage nach der politischen Verantwortlichkeit des Ministers dann, wenn Rasmane K. in der Zelle tatsächlich sich selbst überlassen worden wäre. Klar ist: Wenn der Mann psychisch krank war und nicht mehr Herr seines Willen war, hätte er zwangsernährt werden müssen.

Der SPD-Abgeordnete Sascha Binder wertete Stickelbergers Auftritt mit den Worten: „Wir tun gut daran, den Justizminister seine Arbeit erledigen zu lassen. Er macht sie gut und konsequent.“ Stickelberg gehe gestärkt aus der Anhörung hervor.