Die Anwohner der Polizei-Siedlung weisen seit vielen Jahren auf die mannigfaltigen Probleme des Quartiers hin. Doch bisher ist fast nichts passiert. Der Frust ist groß, die Bewohner fühlen sich als „Menschen zweiter Klasse“.

Kaltental/Süd - Achtung, Stadtbahn“, warnt Daniel Kübler seine Nachbarn, dann rauschen die gelben Waggons auch schon an der Gruppe vorbei. Wer in der Polizei-Siedlung zwischen Vogelrain und Waldeck wohnt, der lernt schon früh Vorsicht walten zu lassen. Die Gefahr lauert unmittelbar nach dem Gartentor. Es sind die Radfahrer, die rücksichtslos durchs Wohngebiet zischen. „Ich bringe meine Kinder morgens immer zum Tor raus“, sagt Dagmar Frank-Marquez.

 

Fußweg: kein Radler steigt ab

Fußweg: kein Radler steigt ab

Kübler hat schon erlebt, wie seine Frau mitsamt drei Monate alter Tochter von einem Radler in die geöffnete Autotür gestoßen wurde. Auch Jürgen Dentzer, der im letzten Haus vor dem schmalen Fußweg wohnt, der zum Waldeck führt, muss genau aufpassen, wenn er aus der Haustür tritt oder mit seinem Auto rangiert. Die meisten Radler schert das blaue Schild mit dem Fußgänger wenig. Erst jüngst wurde Dentzer wieder von einem Pedaleur angepöbelt. Es kam zum Streit und später war die Scheibe seines Autos eingeschlagen. „Da muss man baulich etwas machen“, sagt Dentzer. Als die Gruppe vor seinem Haus steht, nutzen einige Radler verbotenerweise den Fußweg, kein einziger steigt ab. Ein Radler, angesprochen auf das Schild, lässt nur ein patziges „Demnächst“ verlauten, bevor er mit ordentlich Tempo, die zum Teil 1,20 Meter breite Gasse entlangstrampelt.

Doch die Radler, die keine Rücksicht auf Schilder und die Anwohner nehmen, sind nur eines von vielen Problemen, das die Polizei-Siedlung plagt. Seit 1983 prangern Manfred Brunner und seine Mitstreiter die Missstände an, passiert ist fast nichts. „Im Gegenteil, wir werden immer mehr eingebaut“, sagt Brunner. Damit meint er den neuen Radweg, für den eine Stadteinwärtsspur weichen musste. Für die Bewohner ein „Unsinn“, zumal es im Wald zuvor bereits einen funktionstüchtigen Radweg gegeben hatte. Der ist nun eigentlich den Fußgängern vorbehalten, doch die Radler stört das wenig. Brunner hat kürzlich an den OB geschrieben, weil er wissen wollte, was die neue Radspur wirklich gekostet hat.

Stadt entschärft derzeit Kurve

Stadt entschärft derzeit Kurve

Zu Anfang waren es mal 200 000 Euro. Knapp 500 000 Euro werden aufgebraucht sein, wenn der Radweg in den nächsten Wochen endgültig komplettiert wird. Das sagt Jürgen Mutz, Leiter der Bauabteilung Mitte/Nord beim Tiefbauamt. Für das Geld habe man aber noch die Mittelleitplanke abgebaut und Leitungen verlegt. Derzeit ist man dabei, die Kurve auf Höhe der Haltestelle Vogelrain zu entschärfen. Man habe extra gewartet, weil ohnehin die Ampelanlage erneuert werden muss, sagt Mutz und ergänzt: „So muss man nur einmal aufgraben.“ Der Bordstein, der den Radweg von der Autofahrbahn trennt, ist für Brunner und seine Mitstreiter ebenfalls ein Ärgernis: „Die Stadt hat auch hier Verkehrsunsicherheit produziert“, sagt Brunner. Was den Anwohner umtreibt, ist die Frage, ob es rechtens ist, wenn ein Autofahrer auf den Radweg fährt, weil von hinten sich ein Fahrzeug mit Martinshorn nähert. Mutz sieht da kein Problem: „Der Bordstein ist gut überfahrbar.“ Aus diesem Grund sei er nur sechs Zentimeter hoch. Anwohner Ulrich Langjahr hat freilich 7,5 Zentimeter gemessen.

Einkaufen: nur bis 16 Uhr möglich

Einkaufen: nur bis 16 Uhr möglich

Edgar Riester, Sachgebietsleiter im Ordnungsamt, kennt die rechtlichen Grundlagen: „Mit gebotener Vorsicht darf der Autofahrer in solch einem Fall auf den Radweg fahren.“ Wobei auch die Rettungsfahrzeuge den Streifen nutzen könnten: „Da muss man sich dann einigen.“

Während dieses Thema noch recht neu ist, gibt es Dauerbrenner, wie etwa die Zufahrt zur Siedlung, die quasi mit der Kirche ums Dorf oder direkt in den Stau führt: „Neulich bin ich anderthalb Stunden gegenüber von meinem Haus gestanden“, sagt Kübler. Ulrich Langjahr hat seinen Humor trotz allem nicht verloren: „Wir können nur bis 16 Uhr einkaufen, sonst kommen wir nicht mehr heim.“ Er wird aber sofort wieder ernst: „Wir fühlen uns als Menschen zweiter Klasse.“ Am Engagement der Anwohner liegt es nicht. „Wir haben schon x Vorschläge gemacht, aber uns hört keiner zu“, sagt Helga Brunner.

Der Befreiungsschlag wäre die Umsetzung der Pläne aus dem Jahr 2003 gewesen, die eine Verlegung der Gleise hin zum Nesenbach vorsehen. Doch dafür fehlt das Geld. Manfred Brunner und seine Mitstreiter würden sich schon über kleine Verbesserungen freuen, etwa stationäre Blitzer. „Tempo 50 wird bei weitem nicht eingehalten“, sagt der Anwohner. Brunner hatte sich im Februar an den OB gewandt und auch schnell Post vom Ordnungsamt bekommen. Es wurde ihm beschieden, dass die Böblinger Straße seit Jahren mobil überwacht wird und die Überschreitungsquote unter dem stadtweiten Durchschnitt für Vorbehaltsstraßen liegt. Gleichwohl hatte die Stadt damals nicht im Zeitraum zwischen 22 und 6 Uhr kontrolliert. Das hat sie nun laut Edgar Riester im Juli nachgeholt. 14 Überschreitungen wurden in fünf Stunden gemessen. „Auch das ist unter dem Durchschnitt“, sagt Riester. Gleichwohl weiß auch der Mann vom Ordnungsamt, dass in der Polizei-Siedlung „viel mehr gemacht gehört“. Da sind beispielsweise die Stadtbahnen, die mit Tempo 70 an der Siedlung vorbeisausen. Das ist erlaubt und die Stuttgarter Straßenbahnen wollen das Tempo nicht drosseln. Sie sehen sich als Anwälte der Fahrgäste. „Da geht es um zehn Sekunden“, sagt Langjahr kopfschüttelnd. Ein kleines Zugeständnis ist der Verzicht auf Notbremsungen zu Fahrschulzwecken. Dabei ist gar nicht der Lärm unbedingt entscheidend. „Ich habe jedes Mal fast einen Herzinfarkt bekommen, weil ich gedacht habe, es ist etwas passiert“, sagt Dagmar Frank-Marquez.

Notbremsung war ein Versehen

Notbremsung war ein Versehen

Als jüngst doch eine Stadtbahn auf der freien Strecke auf Null runterbremste, hat Brunner sofort zum Telefon gegriffen. „Es gibt die Vereinbarung, nicht ohne Not zu bremsen. Das war dann wohl ein Versehen“, entschuldigt sich SSB-Sprecherin Susanne Schupp. Die Anwohner haben sich mit vielem arrangiert und doch ist der Frust groß: „Es gibt Themen ohne Ende, alle Verkehrsteilnehmer sind benachteiligt“, sagt Brunner. Anwohner Stefan Dominikovic ergänzt: „Unter diesen Umständen kann nichts aufblühen, alles verlottert.“ Brunner würde sich wünschen, dass Anwälte mal prüfen, wie es um die Verkehrssicherheit bestellt ist. Doch dafür fehlt den Anwohnern das Geld.

Wenig kostet ein zusätzliches Verkehrsschild, dass die Radler in Richtung Vaihingen früher auf die Böblinger Straße leitet. Denn, wer erst vor dem Fußgängerschild steht, kehrt nicht wieder um. „Das gehört angeschaut“, sagt Riester und macht sich einen Vermerk. Vielleicht führt der Weg in kleinen Schritten zum Erfolg. Allein den Anwohnern der Polizei-Siedlung fehlt längst der Glaube daran.