In der Autoindustrie lautet die Devise gegenwärtig: Go east. In Osteuropa hat die Branche neue Werke hochgezogen und schon bestehende erweitert; im Westen Europas wurden hingegen Fabriken stillgelegt. Und der Trend geht weiter.

Stuttgart - In der Autoindustrie lautet die Devise gegenwärtig: Go east. In Osteuropa hat die Branche neue Werke hochgezogen und schon bestehende erweitert; im Westen Europas wurden hingegen Fabriken stillgelegt. Im vergangenen Jahr haben deutsche Autohersteller 8,7 Millionen Wagen im Ausland produziert, und nur noch 5,45 Millionen in deutschen Fabriken. Daimler startete ein neues Automobilwerk im ungarischen Kecskemét. Audi hat das bisherige Motoren- und Montagewerk in Györ zu einer kompletten Autofabrik ausgebaut. Volkswagen wird für den Transporter Crafter, der bis 2016 noch in Kooperation mit Mercedes-Benz gefertigt wird, in Polen eine Fabrik errichten. Opel verlagert die Astra-Produktion. Ford denkt darüber nach, den Kleinwagen Fiesta nach dem Modellwechsel 2016 in Rumänien zu produzieren.

 

Wenn BMW die Jahresproduktion auf über zwei Millionen Autos aufstocken will, müssen zusätzliche Kapazitäten her. Auch bei den Bayern wird ein Standort in Osteuropa geprüft. Es gibt Überlegungen, im ostslowakischen Kosice oder im ostungarischen Miskolc die neuen kompakten Frontantriebsmodelle zu produzieren. Damit wird sich verstärken, was schon vor drei Jahren begann, dass nämlich immer mehr Autos mit deutschem Markenzeichen im Ausland gefertigt werden statt in deutschen Fabriken.

Im slowakischen Bratislava montieren knapp 10 000 Beschäftigte schon seit Jahren die Geländewagen VW Touareg, Audi Q7 und die lackierten Karosserien des Porsche Cayenne für den Weltmarkt. 2011 ist dort die Montage der VW-Kleinwagenfamilie Up angelaufen. Insgesamt werden in der Slowakei heute doppelt so viele Autos wie in Italien gefertigt, und dies, obwohl Italien gemessen an der Bevölkungszahl elfmal so groß ist wie die Slowakei.

Im polnischen Werk Poznan wird der VW-Kleinlieferwagen Caddy produziert, die dafür notwendigen Motoren kommen aus Polkowice/Polen. Der Transporter Crafter könnte hinzukommen. Auch in Russland werden VWs produziert, allerdings ausschließlich für den Inlandsbedarf. Das gilt auch für die lokale Produktion des Mercedes Sprinter. Kecskemét für Daimler und Györ für den VW-Konzern sind dagegen Produktionsstätten für den Export in alle Welt.

Im März 2012 startete Mercedes die Produktion im ungarischen Kecskemét mit der B-Klasse, die auch im Werk Rastatt vom Band läuft, hinzu kam das viertürige Coupé CLA als erstes ausschließlich in Kecskemét gebautes Modell. Rund 3000 Mitarbeiter produzieren so 100 000 kompakte Mercedes-Modelle. Das Werk Kecskemét bildet gemeinsam mit dem Werk Rastatt den Produktionsverbund für die kompakten Modelle von Mercedes.

Dieser Verbund – so Daimler – trägt zur Gesamtwirtschaftlichkeit der Kompaktwagen-Produktion bei. Im April 2013 beschloss der Daimler-Vorstand auch einen Getriebe-Produktionsverbund auszubauen. Die rumänische Daimler-Tochter Star Transmission produzierte bisher Motor- und Getriebeteile und wird ab 2014 die aktuellen Front-Doppelkupplungsgetriebe montieren, die bisher ausschließlich im Werk Untertürkheim gefertigt wurden. 2016 kommt eine neue Generation von Pkw-Automatikgetriebe hinzu, die ebenfalls im deutsch-rumänischen Verbund produziert wird.

Audi Hungaria feierte letztes Jahr 20-jähriges Bestehen. Seit dem Start im Jahr 1993 hat sich das ungarische Unternehmen zum weltgrößten Motorenproduzenten entwickelt. Inzwischen wird dort die gesamte Motorenpalette des VW-Konzerns produziert – vom Vier- bis zum Zwölfzylinder – Benziner genauso wie Diesel.

Im neuen erweiterten ungarischen Automobilwerk in Györ fährt jetzt die Audi A3 Limousine und das A3 Cabrio vom Band, und zwar für den Weltmarkt mit Ausnahme von China, wo Audi eine eigene Fertigung aufbaut. Damit entsteht erstmals ein Audi komplett in Ungarn. Jetzt kommt die Neuauflage des Sportflitzers TT hinzu, der bisher als lackierte Karosserie von Ingolstadt zur Fertigmontage nach Ungarn transportiert wurde.

Die viertürige A3-Limousine soll hohe Stückzahlen bringen, vor allem auf den typischen Limousinenmärkten USA und China. Audi erwartet, dass bald jeder zweite verkaufte A3 eine Limousine sein wird. Hauptkonkurrent der sportlichen A3-Limousine ist der Mercedes-Benz CLA und der wird in gerade 200 Kilometer Entfernung auch in Ungarn produziert. Innerhalb von zwei Jahren errichtete Audi am Standort Györ eine vollständige Produktion mit Presswerk, Karosseriebau, Lackiererei und investierte dafür mehr als 900 Millionen Euro. Künftig wird Audi in Györ jährlich insgesamt 125 000 Autos fertigen.

Eine wichtige Rolle für die Expansion spielen die Personalkosten. Audi-Vorstandschef Rupert Stadler rechnet vor: „Eine Arbeitsstunde in Ungarn kostet rund 13 Euro, in Deutschland – je nach Tätigkeit – zwischen 40 und 52 Euro.“ Auch für Daimler sind niedrigere Kosten der Grund für die Expansion im Osten. Personalvorstand Wilfried Porth argumentiert: „Bei den Kompaktfahrzeugen sind wir in einem Fahrzeugsegment unterwegs, das nicht die Rendite bietet, die wir am oberen Ende unseres Produktionssegments haben. Aus finanzieller Sicht spielt daher eine Mischkalkulation vom deutschen Stammwerk in Rastatt und dem Werk in Ungarn eine wichtige Rolle.“

In Ungarn kann Mercedes die Kapazität in der Zukunft leicht verdoppeln, die erforderliche Grundstücksfläche steht den Stuttgartern dort schon zur Verfügung. Der Smart-Zweisitzer wird weiter im französischen Hambach produziert. Der in diesem Jahr startende Smart-Viersitzer rollt aber in Slowenien im Renault-Werk Novo Mesto vom Band, zusammen mit seinem Technikzwilling Renault Twingo.

Die General-Motors-Tochter Opel fertigt im ungarischen Szentgotthárd jährlich rund 600 000 Benzin- und Dieselmotoren und hat rund eine halbe Milliarde Euro investiert, um die Kapazität in diesem Jahr auf 750 000 Motoren zu steigern. Die Produktion des kompakten Opel Astra wird von Rüsselsheim ins polnische Gliwice verlagert. Ford Europa produzierte bisher Motoren in Köln. Ende 2011 wurde im rumänischen Craiova ein Ford-Werk eröffnet, das auch die weltweit eingesetzten Eco-Boost-Motoren fertigt.

Jetzt steht ein neuer Rumänientrip an. Seit 1979 wird der Ford-Kleinwagen Fiesta in Köln produziert. Die neue Fiesta-Generation startet 2016. Jetzt muss zügig entschieden werden, wo sie gebaut wird. Die Kostensituation für die Kleinwagenproduktion in Deutschland ist schwierig. Der Marktführer Volkswagen montiert deshalb schon seit Jahren alle Modelle unterhalb des Golf im Ausland. Ford steht jetzt vor der Fiesta-Entscheidung.

Mit fünf Euro kostet die Arbeitsstunde in Rumänien lediglich zehn Prozent der Lohnkosten in Deutschland. Wenn für die Montage 30 Arbeitsstunden angesetzt werden, dann könnte der Kleinwagen Fiesta in Rumänien um 1300 Euro billiger produziert werden. Harte Entscheidungen stehen an. Der schwächelnde westeuropäische Automobilmarkt hat Ford schon veranlasst, drei Fabriken in Belgien und England zu schließen.

Wo die Autohersteller produzieren, sind die Zulieferer nicht weit. Getrag produziert Getriebe in der Ostslowakei. Johnson Controls fertigt in Kescemét Sitzsysteme für die Mercedes-Kompaktklasse. Die gemeinsame Tochter von Bosch und ZF, die ZF Lenksysteme GmbH, erweitert ihre Produktionskapazitäten in Ungarn. Die Unternehmen der Bosch-Gruppe beschäftigen in Ungarn rund 8500 Mitarbeiter, die unter anderem Wischersysteme, Klimakomponenten, Starter und Generatoren fertigen. Bis 2018 soll ein Großteil der Produktion von Anlassern und Lichtmaschinen von Hildesheim ins billigere Bosch-Schwesterwerk Miskolic in Ungarn verlegt werden. Der österreichisch-kanadische Zulieferer Magna will seinen Gewinn in Europa erhöhen, indem er Fabriken nach Osten verlagert. Der Magna-Finanzvorstand Vince Galifi freut sich: „Wir erwarten steigende operative Renditen, je weiter wir uns nach Osten bewegen.“ Die Unternehmensberatung Roland Berger sieht die Gefahr, dass in den nächsten drei bis vier Jahren jeder zehnte der insgesamt 750 000 Arbeitsplätze in der westeuropäischen Autozulieferindustrie wegfallen könnte. Die Gründe dafür sind ein niedrigeres Produktionsvolumen in Westeuropa, Produktivitätsfortschritte bei den Zulieferern sowie eine stärkere Verlagerung der Produktionskapazitäten in Niedriglohnländer.

Diese attraktive Kombination von niedrigen Lohnkosten und ausgebautem Zuliefernetz hat auch die europäische und asiatische Konkurrenz nach Osteuropa gelockt. Der südkoreanische Konzern Hyundai-Kia und auch Toyota produzieren in Tschechien, Peugeot-Citroën in der Slowakei. Die 1991 gegründete Magyar Suzuki Corporation produziert im ungarischen Werk Estergom jährlich rund 300 000 Kleinwagen und Geländeautos. Auch Fiat fertigt in Polen. Das Beratungsunternehmen Roland Berger zählt inzwischen 15 ausländische Autobauer mit einem Dutzend Werken, die auf eine Kapazität von über drei Millionen Fahrzeuge im Jahr kommen, und die sind auf Wachstum programmiert. Bis 2015 rechnen die Experten von Roland Berger mit einem Plus von mehr als fünf Prozent.