Die starke Zuwanderung stellt die Politik vor neue Herausforderungen. Eine Lösung für die Probleme auf dem Wohnungsmarkt lässt sich nur in einer stärkeren Kooperation mit der Region finden, so Professor Detlef Kurth.

Stuttgart - Die starke Zuwanderung – sowohl von Flüchtlingen als auch von Fachkräften – stellt auch die lokale Politik vor neue Herausforderungen. Eine Lösung für die Probleme auf dem Wohnungsmarkt lässt sich nur in einer stärkeren Kooperation mit der Region finden, so Professor Detlef Kurth.

 
Herr Kurth, wie beurteilen Sie die Wohnungspolitik in Stuttgart?
Es ist positiv, dass die Stadt nun rigoroser vorgeht – etwa mit dem Zweckentfremdungsverbot. Leerstand von Wohnraum ist unsoziales Verhalten. Zudem sind die Mietpreisbremse und die gesenkte Kappungsgrenze zu begrüßen. Das Wohnungsproblem ist vielschichtig. Nur wenn viele Maßnahmen gemeinsam wirken, wird eine Entspannung eintreten. Allerdings stammt das Stadtentwicklungskonzept der Verwaltung aus dem Jahr 2006 und wurde seither nicht fortgeschrieben. Die aktuellen Probleme sollten dazu führen, dass dieses Konzept erneuert wird. Zudem brauchen wir eine Strategie für die langfristige Unterbringung der anerkannten Flüchtlinge. Die Systembauten, die nur für kurze Zeit gedacht sind, dürfen sich nicht als dauerhafte Lösung etablieren.
Stuttgart erwartet einen regelrechten Ansturm auf den Wohnungsmarkt. Sind ausreichend Bauflächen vorhanden?
In den Nuller-Jahren war die wirtschaftliche Lage schwierig, die Einwohnerzahl der Städte ging zurück. Daher wurde stark auf die Innenentwicklung gesetzt. Diese Situation hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Zum einen drängen die Menschen wieder in die Städte, zum anderen gibt es eine starke Zuwanderung – von Flüchtlingen, aber auch von Fachkräften aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage. Das ist eine völlig neue Situation. Ich würde daher auch von einer Wohnungsnot sprechen, und zwar bereits ohne Berücksichtigung des Flüchtlingsstroms. Wir müssen also unsere Wohnungs- und Flächenpolitik überprüfen.
Bedeutet das, dass Innenentwicklung allein, also der Verzicht auf neue Baugebiete auf der grünen Wiese, nicht ausreichen wird?
Die Stadt ist viele Jahre gut mit der Strategie der Innenentwicklung gefahren. Viele Flächen werden aber nicht schnell genug aktiviert. Zahlreiche Gebiete scheitern am Widerstand der Bevölkerung vor Ort, oder sie werden nicht dicht genug bebaut, oder der Anteil der Sozialwohnungen ist zu gering. Wenn wir es nicht schaffen, die Innenentwicklung zu beschleunigen, müssen wir notgedrungen neue Baugebiete prüfen, auch am Stadtrand. Stuttgart ist sehr attraktiv, und wir können als Wirtschaftsstandort nicht unsere Grenzen schließen. Also muss die Politik die bisher gültigen Konzepte überdenken.
Könnten neue Areale rasch genug bebaut werden, um die aktuelle Not zu lindern?
Wir brauchen grundsätzlich eine Beschleunigung der Verfahren. Doch ich gehe nicht davon aus, dass der Druck auf den Wohnungsmarkt rasch zurückgehen wird.
Braucht es eine bessere Kooperation zwischen Stuttgart und der Region, um das Wohnungsproblem zu lösen?
Stuttgart hat das Problem, dass die Stadtgrenze extrem eng ist. Daher ist es auch an den Umlandgemeinden, ihren Beitrag zu leisten. Es gibt im Regionalplan enorme Reserven für den Wohnungsbau entlang der S-Bahnlinien. Diese müssen jetzt gehoben und dicht bebaut werden – auch mit sozialem Wohnungsbau. Das Problem ist aber: wenn die Menschen zu weit in die Region hinausziehen, ergeben sich starke Pendlerströme. Leider sind bereits jetzt viele Familien gezwungen, sich im weiteren Umland umzusehen, da sie in der Stadt keine bezahlbare Wohnung finden. Dadurch steigt die Verkehrs- und Feinstaubbelastung in Stuttgart.