Stuttgart-21-Projektleiter Hany Azer warnte die Konzernspitze der Deutschen Bahn noch vor der Landtagswahl vor neuen Kostenrisiken.

Stuttgart/Berlin - Nach dem vorläufigen Baustopp für Stuttgart 21 drohen dem umstrittenen Großprojekt weitere Unbilden. Projektleiter Hany Azer hat jedenfalls noch kurz vor den Landtagswahlen die Bahnspitze in einem Brandbrief vor einer Verteuerung gewarnt. Die Deutsche Bahn bestätigte auf Anfrage dieser Zeitung die Existenz des Schreibens. „Ja, es gibt diesen Brief“, sagte Technikvorstand Volker Kefer in Berlin. Darin werde „auf Kostenrisiken hingewiesen“. Dabei gehe es um die geplanten Einsparungen, die für Stuttgart 21 kalkuliert wurden, um den Preis für Stuttgart 21 bei 4,1 Milliarden Euro zu halten. Kefer dementiert aber, dass die Zusatzkosten bis zu eine Milliarde Euro betragen könnten. Der Brief Azers sei an Oliver Kraft, den Chef von DB Netz, gegangen. Er habe eine Kopie erhalten.

 

Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung ging der Brief von Azer bereits Anfang voriger Woche bei der DB-Spitze ein. Darin werde gewarnt, dass sich die Baukosten von bisher 4,1 Milliarden Euro für S 21 erheblich erhöhen werden. Grund sei eine nötige Neubewertung der Risiken, nachdem die bisherigen Aufträge und Angebote für die einzelnen Bauabschnitte ausgewertet wurden.

Bahn hat bereits 1,5 Milliarden Euro ausgegeben

Die Deutsche Bahn hat für das vorläufig gestoppte Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 schon rund 1,5 Milliarden Euro ausgegeben. Diese Zahl nannte Vorstandschef Rüdiger Grube bei Vorlage des Geschäftsberichts 2010 am Donnerstag in Berlin. Der Vorstand stehe nach wie vor zu dem Vorhaben. Es gebe „zurzeit keinen Grund“ Vorsorge für eine mögliche Aufgabe des Projekts zu treffen, sagte Grube. „Wir sind ja bereits in der Realisierung.“

Vorstandsmitglied Volker Kefer sagte zu dem am Dienstag verkündeten vorläufigen Baustopp: „Wir wollten einfach ein Signal an die neue Landesregierung senden, dass wir auch mit ihr konstruktiv und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Wir schaffen keine neuen Fakten, bis sie sich konstituiert.“ Die neue grün-rote Regierung in Baden-Württemberg soll Mitte Mai im Amt sein.

Seite 2: Bahnvorstand Kefer sondiert Möglichkeit eines Ausstiegs

Nach Informationen der StZ hat Bahnvorstand Kefer bei Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) die Möglichkeiten eines Ausstiegs aus dem umstrittenen Milliardenprojekt sondiert, ist aber auf Ablehnung gestoßen. Bekanntlich hat die Stadt die durch den Bau eines Tiefbahnhofs frei werdenden Gleisgrundstücke bereits 2001 für 459 Millionen Euro erworben, die die Bahn bei einem Aus von Stuttgart 21 verzinst zurückbezahlen müsste.

Bei 4,7 Milliarden Euro ist Stuttgart 21 nicht mehr wirtschaftlich

Eine neue Dynamik kommt in die Debatte, weil die Grünen, die künftig den Ministerpräsidenten stellen, seit Jahren gegen die Umwandlung des Stuttgarter Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und deren Anbindung an die geplante Schnellbahntrasse nach Ulm kämpfen. Der Koalitionspartner SPD ist allerdings für das Bahnprojekt und hat vor den Wahlen, wie die Grünen, eine Volksabstimmung zum Thema versprochen.

Unter anderem soll nach bisheriger Planung der künftigen Landesregierung durch einen bis Juni/Juli abgeschlossenen Stresstest die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs nachgewiesen und Klarheit in der Kostenfrage hergestellt werden. Bei mehr als 4,7 Milliarden Euro Kosten ist Stuttgart 21 laut früheren Aussagen von Bahnchef Grube nicht mehr wirtschaftlich. Schon vor der Entscheidung des DB-Aufsichtsrats für das Projekt im Dezember 2009 hatten die internen Kalkulationen von Hany Azer, die dieser Zeitung vorliegen, Gesamtkosten von fast 5 Milliarden Euro veranschlagt. Azer hatte damals aber mögliche Einsparungen von fast 900 Millionen Euro errechnet und so den Gesamtpreis auf 4,1 Milliarden gedrückt. Experten bezweifelten schon damals, dass diese Einsparungen – wie kostengünstigere Tunnelbauten – wirklich realisiert werden können.

Offiziell beteuert der Konzern aber weiter, man stehe zu dem Projekt. Auch Schadenersatz in Milliardenhöhe werde man bei einem Projektabbruch einklagen, so Kefer. Vor einem Weiterbau werde man aber die Gespräche mit der neuen Landesregierung abwarten.