Die Stadt arbeitet ein Konzept aus, um den Auswüchsen im Rotlichtmilieu beizukommen. Die Grundzüge stehen: So will die Verwaltung Freier stärker ins Visier nehmen. Hinter anderen Vorschlägen bleiben aber Fragezeichen.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Seit Jahren nehmen die Auswüchse der Zwangs- und Armutsprostitution in Stuttgart zu, vor allem im Leonhardsviertel. Die Verwaltung arbeitet an einem Konzept, das zumindest die schlimmsten Folgen dieser Entwicklung unterbinden soll. Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) und die Leiterin der Abteilung für Chancengleichheit, Ursula Matschke, haben am Mittwoch im Gleichstellungsbeirat einen Zwischenbericht der internen Debatte geliefert.

 

So wird darüber nachgedacht, für Freier eine Kondompflicht einzuführen. Für die Prostituierten soll wieder eine Meldepflicht festgeschrieben werden und wie vor Jahrzehnten regelmäßige Gesundheitskontrollen. Letzteres sei deshalb geboten, weil eine wachsende Zahl der Prostituierten von Geschlechtskrankheiten betroffen ist, die lange Jahre stagnierten. Durch verpflichtende Kontakte der Frauen zu städtischen Stellen wolle man diese „aus der Anonymität herausholen“, sagte Schairer. Außerdem wolle man ihnen verstärkt Ausstiegshilfen anbieten. Grundsätzlich wolle man „die persönliche und gesundheitliche Situation der Frauen verbessern“, sagte der Ordnungsbürgermeister.

Medienkampagne ist zentrale Maßnahme

Dem Vernehmen nach wird auch erwogen, die Altersgrenze für Prostituierte auf 21 Jahre anzuheben. Dies könnte dagegen helfen, dass die Zahl junger Prostituierter aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn, die vor allem von Zwangs- und Armutsprostitution betroffen sind, nicht weiter zunimmt. Der Ordnungsbürgermeister merkte aber an: man befürchte, dass diese Gruppe durch die seit Januar geltende vollständige Freizügigkeit für Personen aus Rumänien und Bulgarien weiter wachse. Für Bordellbetriebe ist zudem eine Konzessionspflicht vorgesehen. „Wir wollen auch die Profiteure schwächen“, sagte Schairer.

Ein zentrales Element des Konzepts, auf das vor allem Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) großen Wert legt, ist eine Medienkampagne, die sich an die Freier richtet. Männer aller Altersgruppen sollen darauf aufmerksam gemacht werden, „dass sie es an Verantwortung für die Frauen fehlen lassen und deren Gesundheit gefährden“, sagte Ursula Matschke. „Die Entwürdigung der Frauen soll geächtet werden“, so Matschke. Teil der Zielgruppe sind junge Männer, die Kampagne soll deshalb auch an die Schulen der Stadt getragen werden. „Im ersten Halbjahr“ solle mit der Umsetzung der Kampagne begonnen werden.

Auch die Vergnügungsstättensatzung wird überarbeitet

Im Städtebaureferat von Bürgermeister Matthias Hahn (SPD) wird an einer neuen Vergnügungsstättensatzung gearbeitet, die festlegen soll, wo noch Rotlichtbetriebe zulässig sind. Man habe vor, den Bereich im Leonhardsviertel noch etwas zu begrenzen und auf ein „kleines Kerngebiet“ zu reduzieren, sagte Matthias Hahn auf Anfrage.

Hinter einem beträchtlichen Teil der Pläne stehen aber Fragezeichen, weil die Stadt zumeist auf Gesetzesänderungen von Bund und Land angewiesen ist. So müsste für eine Kondompflicht das Land die Voraussetzungen schaffen. Die zuständige Sozialministerin Karin Altpeter (SPD) hat aber schon abgewunken. Dort hält man eine Kondompflicht für Symbolpolitik, weder kontrollierbar noch sanktionierbar.

Die Stadt setzt auf den Bund

Martin Schairer warnte indirekt denn auch vor falschen Erwartungen. Zum einen sei Stuttgart mit seinen bisherigen Aktivitäten schon heute „Vorbild“ in der Republik. Und wirklich etwas erreichen werde man nur, „wenn man das Problem systematisch angeht und an der Wurzel packt“. Damit meinte der Ordnungsbürgermeister die Bundesgesetzgebung. Bekanntlich hat die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2002 das Prostitutionsgesetz liberalisiert. Dabei wurde die Prostitution rechtlich anderen Dienstleistungen gleichgestellt, um die Situation der Frauen zu verbessern. Gleichzeitig wurde der Paragraf zur Zuhälterei geändert. Diese ist nicht mehr grundsätzlich strafbar, solange sie ein angemessenes Arbeitsumfeld für die Frauen schafft und keine Ausbeutung ist. Das behindert die Strafverfolgung stark. „Das muss sich ändern“, sagte Schairer im Gleichstellungsbeirat. Zu den Plänen der neuen Berliner Koalition, hier etwas zu ändern, sagte Schairer nur: „Man darf gespannt sein.“