Begleitet von Protest bringt die Oper Stuttgart ihre erste Premiere der Spielzeit auf die Bühne. Regisseur Kirill sitzt in Moskau im Arrest und konnte die Inszenierung deshalb nicht vollenden.

Stuttgart - Mitarbeiter der Oper Stuttgart und russische Künstler haben am Sonntag Freiheit für den in Moskau im Hausarrest sitzenden Regisseur Kirill Serebrennikow gefordert. An der Fassade des Opernhauses brachten Künstler ein Banner mit der Aufschrift „Free Kirill“ (Freiheit für Kirill) an. Intendant Jossi Wieler trug ein T-Shirt mit dieser Aufschrift samt Porträt des Künstlers. Die Aktion war ein Protest gegen das Kommunikations- und Arbeitsverbot für Serebrennikow. Die Oper hielt trotz der Umstände an der Neuinszenierung der Oper „Hänsel und Gretel“ fest.

 

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nannte das Arbeitsverbot für Serebrennikow „skandalös“. Die erste Premiere der Spielzeit ging am Sonntagabend über die Bühne - allerdings ohne das geplante Bühnenbild und die Kostüme. „Die Verlängerung des Hausarrestes um weitere drei Monate beobachte ich mit Sorge und zunehmender Beunruhigung“, sagte Kretschmann einer Mitteilung des Staatsministeriums zufolge.

Seit Monaten im Hausarrest

Die russische Justiz wirft dem international renommierten Regisseur vor, staatliche Fördergelder für seine Theaterarbeit veruntreut zu haben. Er bestreitet dies und sitzt seit Monaten im Hausarrest. Der Arrest war am vergangenen Dienstag bis 19. Januar verlängert worden.

Dass die Oper die unvollendete Inszenierung trotz der Umstände zeigte, nannte Kunstministerin Theresia Bauer (Grüne) ein starkes Signal und eine besondere Botschaft. „Kunst muss unabhängig vom Staat arbeiten können, auch wenn sie vom Staat finanziert wird. Sie darf nicht spiegeln, was die Haltung der Förderer ist, denn sie entsteht nicht im Auftrag des Staates“, sagte die Ministerin mit Blick auf das russische Verfahren. Kunst brauche Freiheit. Darum müsse immer wieder aufs Neue gerungen werden.

Zwar gebe es Unterstützerbriefe russischer Prominenter für Serebrennikow, sagte die Moskauer Theaterkritikerin Marina Davydowa bei einer Podiumsdiskussion in der Oper. Eine solche Protestaktion wie in Stuttgart mit dem Banner am Haus oder etwa Massenaktionen gebe es aber nicht, sagte sie. Insofern laufe die Solidarität in Russland ins Leere. Serebrennikow lebe in seiner etwa 40 Quadratmeter großen Wohnung „in totaler Isolation“.

Bei vielen herrscht Angst

Der Komponist Sergej Newski meinte, dass sich die Lage für Künstler in Russland in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert habe. Bei vielen herrsche Angst. In der Diskussion beklagten Experten, dass künstlerische und ästhetische Fragen zunehmend von konservativen und russisch-orthodoxen Kräften politisiert würden. Das sei auch der Grund dafür, dass der Machtapparat gegen Serebrennikow vorgehe, meinte Davydowa.

Im Mittelpunkt der Bühnenproduktion steht ein abendfüllender Spielfilm Serebrennikows. Er erzählt das Märchen „Hänsel und Gretel“ im Kontext der Globalisierung - am Schicksal von zwei afrikanischen Kindern aus Ruanda, die auf der Suche nach dem Glück in die Welt des Konsums nach Stuttgart gelangen. Das Staatstheater will es Serebrennikow nach seiner Freilassung noch ermöglichen, die Oper selbst komplett zu inszenieren.