Vergleichbare Proteste gegen ein Wohnbauprojekt gab es bisher selten. In Sillenbuch kämpfen Anwohner der Tuttlinger Straße dagegen, dass ein altes Haus durch zwei neue ersetzt wird. Sie fürchten ein Verkehrschaos.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Sillenbuch - Sich zu wehren, produziert Papier. Ein Teil dieser Schriftstücke liegt vor Susanne Karck auf dem Tisch. Neben ihr sitzt ihr Töchterchen, dem schnell langweilig wird bei dem Erwachsenengespräch. Es dreht sich um ein Grundstück in der Nachbarschaft. Um alles zu erklären, sind auch die Eheleute Michael Frenz und Andrea Marx von nebenan zu den Karcks ans Ende der Sackgasse gekommen.

 

In der Nachbarschaft, an der Tuttlinger Straße 22, soll ein Haus durch zwei ersetzt werden, geplant sind 13 oder 14 Wohnungen (wir berichteten). Die Bewohner der übrigen vier Häuser an der Sackgasse befürchten Schlimmes. „Wie soll das logistisch funktionieren?“, fragt Michael Frenz. Wo doch heute fast jeder ein Auto hat.

Das Thema hat längst die Runde gemacht

Spätestens nach der jüngsten Bezirksbeiratssitzung sehen die Anwohner Erklärungsbedarf – wieder. Denn das Thema ist nicht neu, es hat längst die Rund gemacht – im Bezirk, in der Politik, in der Stadtverwaltung. Die Nachbarn haben ja auch alle Hebel in Bewegung gesetzt. Sie haben sich Anwälte genommen, eine Bürgerinitiative gegründet, sie haben 1000 Unterschriften gesammelt und diese dem Oberbürgermeister Fritz Kuhn persönlich übergeben, und sie waren mehrmals bei den Treffen der Bezirksbeiräte. „Der Bezirksbeirat ist unsere erste direkte politische Ansprechstelle“, sagt Susanne Karck. Vergangene Woche ist sie wieder hin – mit der Hoffnung im Herzen, dass die Fraktionen ihnen doch helfen könnten. Gegangen ist sie mit Wut im Bauch.

Die Vertreter der CDU, FDP und Linken äußerten Bedauern. „Die Situation ist unbefriedigend“, sagte der CDU-Sprecher Philipp Kordowich. Gleichzeitig machten sie aber auch deutlich, dass ihnen die Hände gebunden seien. Eine deutliche Abfuhr kam von der SPD. Ulrich Storz sprach von einer „individuellen Betroffenheit“, das habe nichts mit dem zu tun, wie sich die 2013 gegründete Bürgerinitiative nennt: „Sillenbuch soll schön bleiben“. Deshalb sei das Baurechtsamt zuständig und nicht die Politik, sagte Storz in rauem Ton.

Die Gemeinderats-CDU will die Genehmigung stoppen

Die CDU im Gemeinderat sieht das anders. Sie hat Anfang der Woche einen Antrag gestellt und fordert, dass das Bauvorhaben nach der Sommerpause erneut im Ausschuss für Umwelt und Technik (UTA) besprochen wird und dass das Baurechtsamt vorher „keine Genehmigung erteilen“ soll. „Keine“ ist fett gedruckt. SÖS und Grüne haben nachgelegt und bitten die Stadt um Information.

Ob es den Familien an der Sillenbucher Sackgasse nur um ihr eigenes Interesse geht oder ums große Ganze, wissen letztlich nur sie selbst. Sie bestreiten es auf jeden Fall vehement. Erst dieser Tage seien sie unterwegs gewesen und hätten in alle Briefkästen im Stadtteil Sillenbuch Zettel geworfen, die über den Sachstand an der Tuttlinger Straße informieren. „Man wird darauf angesprochen“, sagt Andrea Marx. Die Leute würden ihnen Mut machen, nicht aufzugeben. Viele hätten Angst, dass es ihnen irgendwann ähnlich ergehen könnte, sagt Susanne Karck. Dass sie ihr Geld in ein Haus an einer ruhigen Straße investieren, und dann komme plötzlich alles anders.

Laut Stadt spricht nichts gegen die neuen Häuser

Rund um die Stichstraße gibt es keinen gültigen Bebauungsplan. Die einzige Regel ist, dass sich neue Häuser in die Umgebung einfügen müssen, erklärt Kirsten Rickes, die Leiterin des Baurechtsamts. Gegen die neuen Häuser an der Tuttlinger Straße 22 spreche wohl nichts, „alle Punkte sind von den Fachämtern positiv bewertet worden“, sagt sie. Weil der Protest in Sillenbuch nicht abbrach, haben die UTA-Mitglieder die Stadt gebeten, noch mal mit dem Bauherrn über die Dimensionen zu sprechen. Das Gespräch war im Januar, mit dabei waren der Baubürgermeister Matthias Hahn und Kirsten Rickes. Das Ergebnis war ein zweiter Bauantrag mit „aus meiner Sicht deutlichen Verbesserungen“, so Rickes. Die Häuser seien niedriger geplant.

Das Baurechtsamt will den Beschluss im August – und damit vor der nächsten UTA-Sitzung – fällen. Ob der CDU-Antrag die Genehmigung bremsen kann, kann Rickes noch nicht sagen. Eines kann die Leiterin des Baurechtsamts dafür mit Gewissheit sagen: „Dieser Fall ist einmalig.“ Sie meint die Proteste aus der Nachbarschaft.