Auf die Äußerungen des Ministerpräsidenten über eine zunehmende Gewaltbereitschaft reagieren Projektgegnern und die SPD mit Empörung.
26.09.2010 - 10:21 Uhr
Stuttgart - Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) befürchtet eine Zunahme der Gewaltbereitschaft bei den Protesten gegen Stuttgart 21. Dem Nachrichtenmagazin "Focus"
sagt er », dass es "einen nicht unerheblichen Teil von Berufsdemonstranten" gebe, die der Polizei das Leben schwer machten. Bei ihnen würden "Aggressivität und Gewaltbereitschaft zunehmen". Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, beklagte indes die hohe Belastung der Landespolizei durch die Einsätze. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) machte sich am Samstag erneut für das Großprojekt stark.
Am Freitag hatten erneut zwischen 15.000 (Polizeiangabe) und 30.000 (Veranstalterangabe) Menschen am Hauptbahnhof gegen das Milliardenprojekt demonstriert. » Nach der Veranstaltung mussten laut Polizei 30 Personen festgenommen werden, nachdem sie Straßen blockiert hatten oder Polizisten angegangen waren.
Projektgegner bestreiten Angriff
Nach Angaben der Polizei umringten mehrere Demonstranten einen Reisebus, zerkratzten ihn und versuchten die Reifen zu zerstechen. Die Fahrerin soll nach Angaben der Polizei einen Nervenzusammenbruch erlitten haben.
Den Vorfall stellen die Projektgegner völlig anders dar: Die Busfahrerin sei auf dem Busparkplatz vor einem Hotel stehen geblieben, obwohl sie darüber informiert worden war, dass ein Demonstrationszug auf sie zukomme. Als die Demonstranten am Parkplatz ankamen, sei die Frau ohne ersichtlichen Grund hupend auf die Demonstranten zugefahren. Die Polizei habe schließlich eine Kette um den Bus gebildet und das Fahrzeug weg gefahren. Es sei jedoch zu keiner Zeit zu einer Bedrohung oder einem Angriff auf den Bus gekommen.
Weitere Vorwürfe der Projektgegner beziehen sich auf einen Polizeieinsatz in ihrem Camp im Schlossgarten am Samstagmorgen. Bei der Räumung der Planen soll ein Beamter einen Demonstranten so schwer am Handgelenk verletzt haben, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste. Die Polizei bestätigte die Verletzung des Mannes, konnte aber über ihre Ursache keine Auskunft geben. Drei Menschen wurden bei der Räumung der Planen, unter denen Projektgegner geschlafen hatten, weggetragen.
Freiberg: "Das ist brandgefährlich"
Die massiven Proteste erfordern stets große Polizeieinsätze und schwächen die baden-württembergische Polizei laut Freiberg in anderen Landesteilen: "Das ist brandgefährlich." Welch prekäre Personalsituation dadurch in der Fläche entstehe, zeige der Amoklauf von Lörrach. Die dort ansässige Polizeidirektion bestätigte dem Nachrichtenmagazin Spiegel », am vergangenen Sonntag wegen Stuttgart 21 30 Beamte zu einem Einsatz in die Landeshauptstadt abgeordnet zu haben. Aus Personalmangel waren in Lörrach deshalb ein Sachbearbeiter aus dem Innendienst und ein Polizeifreiwilliger eingesetzt worden. Keiner der beiden Männer, die als erste im Krankenhaus eintrafen, wo die Täterin um sich schoss, hatte eine Amokschulung durchlaufen. Der Innendienstbeamte erlitt bei dem Schusswechsel mit der 41-jährigen Täterin einen Kniedurchschuss.
Merkel spricht sich erneut fürs Projekt aus
Bundeskanzlerin Merkel sprach sich beim Landesparteitag der rheinland-pfälzischen CDU in Mainz erneut » vehement für den Weiterbau des umstrittenen Projektes aus. Deutschland müsse zeigen, dass man zuverlässig sei. Man könne in Europa nicht zusammenarbeiten, wenn die Politik danach ausgerichtet werde, "wie viele Menschen gerade auf der Straße stehen".
Den Gegnern des Milliardenprojekts bot Mappus an, außer der Einstellung des Projekts über so ziemlich alles zu reden. "Ich möchte weit über das hinaus, was üblich ist, die Stuttgarter mit Bürgerentscheiden direkt an der Gestaltung beteiligen." Eine Garantie für eine Kostenobergrenze von rund sieben Milliarden Euro wollte er nicht geben. "Vom Häuslebauer bis zum Kostenplaner bei Großprojekten weiß jeder, dass man mit Garantien vorsichtig sein sollte."
Schmid: "Versuch der Kriminalisierung"
Nach Mappus Äußerungen zur zunehmenden Gewaltbereitschaft warf die Landtags-SPD ihm vor, den Konflikt zuzuspitzen. "Anstatt auf die Gegner zuzugehen und einem Volksentscheid zuzustimmen, versucht er aus Wahlkampfgründen, sie zu kriminalisieren", sagte Fraktionsvize Nils Schmid. Der bisherige Verlauf der Protestbewegung sei fast ausnahmslos friedlich. Mappus werde mit seiner Strategie scheitern, sich mit einer "Augen-zu-und- durch-Politik" den Wählern als konservativer Machtmensch zu präsentieren. Um künftige Auseinandersetzungen vermeiden zu können, dränge die SPD auf eine Volksabstimmung.