Am Samstag werden in der Stuttgarter Liederhalle mehr als 2000 Staatsdiener erwartet. Sie protestieren gegen die Sparpläne der Landesregierung.

Stuttgart - Mitunter lohnt es sich, in alten  Schubladen zu stöbern. Im Januar 2008 brachte der      damalige baden-württembergische Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) zehn Thesen zu Papier, in denen er darlegte, wie das Land vor dem Schuldentod zu bewahren sei. Sieben Seiten kamen zusammen, dazu vier Anlagen sowie ein Anschreiben an die Abgeordneten der CDU-Landtagsfraktion. Der Finanzminister gelangte in seinem Brief zu zwei politisch prekären Erkenntnissen. Die erste lautete: „Ohne weitere deutliche Einsparungen bei den Personalausgaben ist die Null-Neuverschuldung nicht auf Dauer sicherzustellen.“ Und die zweite: „Weitere Stelleneinsparungen, insbesondere auch in den Bereichen mit demografisch bedingt rückläufigem Bedarf, sind längerfristig zwingend erforderlich.“

 

Zwei Jahre später meldete sich der Landesrechnungshof zu Wort. Die Karlsruher Kassenprüfer beschäftigten sich in ihrer Denkschrift für das Jahr 2010 mit „Vorbelastungen und Risiken des Landeshaushalts“. Dazu zählten sie auch die versteckte Verschuldung, die – nirgends eigens ausgewiesen – in Form von künftigen Pensionszahlungen für die derzeit aktiven Staatsdiener im Landesetat schlummert. Auf 70 Milliarden Euro veranschlagte der Rechnungshof diese Summe. Würde das Land bilanziert wie ein Unternehmen, müsste es für die Altersversorgung seiner Mitarbeiter Rückstellungen in dieser Höhe bilden. Zum Vergleich: der offizielle Schuldenstand des Landes beläuft sich derzeit auf 43 Milliarden Euro.

2000 Staatsdiener kommen in die Liederhalle

Was der Finanzminister Stratthaus vor Jahren thematisierte, was der Rechnungshof immer wieder bei der Vorlage seiner Denkschriften anmahnt – das treibt heute gut 2000 Staatsdiener, aktive und ehemalige, in die Stuttgarter Liederhalle. Dorthin hat sie der Landesbeamtenbund zur Manifestation ihres Protests gegen ein Sparopfer gerufen. Verbandschef Volker Stich will „allen Sparansätzen den Kampf ansagen, welche die Strukturen des Berufsbeamtentums und des Alimentationsprinzips“ tangieren.

Eingeladen sind auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann sowie die Vorsitzenden der vier im Landtag vertretenen Fraktionen. Der Regierungschef hatte nach einigem Hin und Her eingewilligt, in die Höhle des Löwen zu kommen. Einfach wird der Gang für ihn nicht werden, hat doch der Beamtenbund die Grünen als den eigentlichen Gegner im Verteilungskampf ausgemacht. Unter allen Parteien sind die Grünen diejenige, die dem Beamtenwesen mental am weitesten entfernt sind, auch wenn im öffentlichen Dienst einige grüne Biotope blühen. Schon in der Vergangenheit schafften es die jeweiligen finanzpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion regelmäßig, den Beamtenbund mit Einsparvorschlägen etwa bei der Beihilfe – dem Pendant zur Krankenversicherung in der Privatwirtschaft – zur Weißglut zu reizen.

Kretschmann sagt: „Ich brauche motivierte Leute“

Regierungschef Kretschmann nahm im Vorfeld der Protestkundgebung eine im Ton freundliche, in der Sache aber harte Haltung ein. Kein Ministerpräsident könne gegen die eigenen Beamten regieren, sagte er dieser Tage. „Ich brauche motivierte Leute.“ Klar sei aber auch, fügte er hinzu, dass er den Landesetat auf das vom Jahr 2020 an geltende, im Grundgesetz verankerte grundsätzliche Schuldenverbot vorbereiten müsse.

Auf keiner anderen staatlichen Ebene spielen die Ausgaben für die Staatsdiener eine so zentrale Rolle wie bei den Ländern. Wenn der Bundesfinanzminister sparen will, schielt er auf den Etat des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Für die kommunale Familie ist der Tarifbereich des öffentlichen Dienstes wichtig. In Baden-Württemberg jedoch sind deutlich mehr als 70 Prozent der Beschäftigten verbeamtet. Kein anderes Flächenland der Bundesrepublik hat eine im Vergleich zur Bevölkerungszahl so hohe Beamtenintensität.

Wenige private Arbeitgeber sind so familienfreundlich

Dabei ist die Höhe der Besoldung und der Pensionen keine Frage der Armutsbekämpfung, sondern der Attraktivität des öffentlichen Dienstes. Fast 85 Prozent der Beamten im Land arbeiten im gehobenen oder höheren Dienst. Und nur wenige private Arbeitgeber sind so familienfreundlich wie der Staat. Dennoch gilt es in Zeiten der demografischen Rückwärtsbewegung und des Wettbewerbs um die besten Köpfe, den Staatsdienst nicht ins Hintertreffen geraten zu lassen.

Von einer Haushaltsstrukturkommission erhofft sich die Landesregierung Vorschläge, wie denn der Haushalt flottzumachen wäre. Dumm nur: die SPD-Fraktion hat unter Führung ihres Vorsitzenden Claus Schmiedel Einschnitte bei Besoldung und Pensionen bereits zum Tabu erklärt – was koalitionsintern den Tatbestand der versuchten Nötigung erfüllt. Auch an der Höhe der Beihilfe soll nichts geändert werden. Schmiedel wartet mit Vorschlägen auf, von denen er hofft, dass sie den Beamten nicht auffallen, aber dennoch Geld bringen.

Die Beamten wehren sich gegen den Nachhaltigkeitsfaktor

Dagegen schlug der Steuerzahlerbund unter Berufung auf den Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen vor drei Jahre unter anderem vor, in die Versorgung der Beamten einen Nachhaltigkeitsfaktor einzuführen, wie ihn die Rentenversicherung bereits kennt. Das würde das Pensionsniveau zwar absenken, aber immer noch sehr deutlich über dem Nettorentenniveau halten, das laut Raffelhüschen bis zum Jahr 2030 auf 43 Prozent fallen wird.

Solche Vorstöße sind derzeit jedoch aussichtslos. Der Beamtenbund droht mit den Gerichten, sollte an der verfassungsrechtlich verankerten Alimentierung der Beamten etwas geändert werden. Auch der zwar immer prekäre, aber doch lange akzeptierte Konsens, einen Teil der demografischen Rendite zur Sanierung der öffentlichen Haushalte zu nutzen, ist inzwischen de facto aufgekündigt. Bis zum Jahr 2030 gehen die Schülerzahlen im Südwesten um ein Viertel zurück.

Ruinierte Staatsfinanzen schaden auch der Bildung

Doch wer gegenwärtig fordert, einen Teil der rechnerisch frei werdenden Lehrerstellen zur Haushaltssanierung zu nutzen, wird prompt mit dem Totschlagargument erledigt, damit werde der Bildungsstandort ruiniert. Dass ruinierte Staatsfinanzen der Bildung noch mehr schaden, gerät dabei regelmäßig aus dem Blick.