Eine schockierende Installation von Asylbewerbern, die seit Wochen aus Protest an der Thouretstraße ausharren, wird von Stuttgartern kontrovers diskutiert.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Zwei Leichenattrappen liegen beim Protestcamp der Asylbewerber an der Thouretstraße auf dem Boden. Schuhe ragen aus mit roter Farbe bespritzten Laken heraus. Dahinter steht auf einem Grabsteinimitat geschrieben: „Gestorben für deutsche Wirtschaftsinteressen“.

 

Als die Asylbewerber aus dem Main-Tauber-Kreis vor sechs Wochen ihren Protest an der Thouretstraße vor dem Integrationsministerium begonnen haben, weil sie sich in ihrem Landkreis menschenunwürdig behandelt fühlen, hielten sie schlichte Plakate in den Händen. Die Leichenattrappen sind ein deutlich radikaleres Mittel, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. „Das ist ein Bild, das die Realität in unseren Heimatländern zeigen soll“, erklärt Hamid Raza, einer der Flüchtlinge. In der Gruppe habe man entschieden, die Installation aufzubauen, ergänzt der Flüchtling Mian Anwarulhaq. Bei den Passanten an der Königstraße lösen die Leichenattrappen, die dort seit mehr als zwei Wochen liegen, unterschiedliche Reaktionen aus. „Ich kann das verstehen, die haben Schlimmes durchgemacht“, sagt Michaela Richter. Doch anderen, wie Erna Maria Boettger, gehen die Attrappen zu weit. „Ich habe nichts gegen den Protest der Asylbewerber, aber man kann auch ohne Leichenattrappen demonstrieren“, meint die Stuttgarterin. Sie sei mit ihrem siebenjährigen Enkel kürzlich an der Installation vorbeigekommen und schockiert gewesen. „Dem Jungen gehen die Bilder nicht aus dem Kopf“, sagt Boettger. Ein Erwachsener könne die Attrappen einordnen, Kinder jedoch nicht. „Das muss weg“, fordert sie.

Attrappen provozieren Reaktionen

Man habe nie vorgehabt, Kinder zu erschrecken, sagt einer der Unterstützer der Flüchtlinge, der anonym bleiben will. Er räumt ein, dass es viele Leute gebe, „die das zu krass finden“. Aber auch die Umstände, wegen der die Asylbewerber geflohen seien, seien krass. Die Aktion werde weitergeführt. „Wir kriegen deutlich mehr Reaktionen, seitdem sie da sind“, sagt der 21-Jährige. Bevor sie die Attrappen hingelegt hätten, seien die Passanten vielfach einfach nur am Protestcamp vorbeigelaufen. „Es geht darum, die Leute aus ihrer Wohlfühlzone herauszuholen“, sagt er.

Die Stadt hat nicht vor, wegen der Attrappen tätig zu werden. Diese seien vom Ordnungsamt als „zulässiges Versammlungsmittel“ beurteilt worden, so der Sprecher der Stadt, Sven Matis. Bisher habe sich niemand offiziell wegen der Puppen beschwert. Insgesamt sei die Lage ruhig, man stehe im Kontakt mit den Flüchtlingen. Eine Lösung der Situation könne die Stadt nicht herbeiführen. Man warte die Gespräche des Landes ab, so Matis.Die Flüchtlinge wollen weiter protestieren: „Wir bleiben, bis es eine Lösung gibt“, sagt Mian Anwarulhaq. Wie berichtet, wünschen die Asylbewerber, in andere Landkreise zu wechseln. Sie fordern die Umstellung auf Geld statt Sachleistungen, die Abschaffung der Gemeinschaftsunterkünfte, eine Arbeitserlaubnis für alle und Sprachkurse. Inzwischen protestieren noch rund 15 Asylbewerber – zu Beginn der Aktion waren es rund 25 Männer.

Flüchtlinge wollen in einen anderen Landkreis wechseln

Zwei oder drei Flüchtlinge, die länger als ein Jahr hier sind, haben eine Arbeitserlaubnis erhalten – nach zwölf Monaten ist dies möglich. Sie seien wieder in den Main-Tauber-Kreis zurückgekehrt, so Anwarulhaq. Die Verbliebenen hätten Anträge beim Ministerium abgegeben für den Wechsel des Landkreises. Diese wurden an die Ausländer- und Aufnahmebehörden weitergeleitet. „Die Prüfung erfolgt vor Ort, das liegt nicht in unserer Hand“, sagt ein Ministeriumssprecher. Zuvor war von Ministeriumsseite betont worden, keinen Präzedenzfall schaffen zu wollen.