Ralph Boes hat das Jobcenter dazu gebracht, ihm Geld zu streichen, damit er das System anprangern kann. Er streitet mit einer Hunger-Aktion für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Berlin - Das Wort Hungerstreik mag Ralph Boes nicht. „Was ich tue, ist Arbeit“, sagt er. Boes sitzt in seiner Hinterhofparterrewohnung im Wedding auf einem alten Sessel, die Füße im Schneidersitz untergeschlagen. Seine Hände, gerade noch wie zur Meditation auf den Knien liegend, fahren jetzt wie kleine, runde Schaufeln durch die Luft. Die Stirn liegt in Querfalten. „Und wenn das, was ich hier tue, keine gesellschaftlich wichtige Arbeit ist, dann weiß ich auch nicht, was wichtig ist“, sagt Boes. Er wird jetzt recht laut, dabei hat er vor einer halben Stunde noch lächelnd die Hände zum buddhistischen Gruß vor der Brust zusammengelegt.

 

Aber irgendwo ist es vorbei mit der Gelassenheit, und bei Ralph Boes ist das jetzt der Fall. Er springt vom Sessel auf und geht aufgeregt hin und her. Die Faust saust auf die Sessellehne nieder. „Diese Politiker, die sich nicht an das Grundgesetz halten, die gehören alle ausgetauscht. Dafür braucht es keine Mehrheit, sondern einen Menschen, der seine Stimme erhebt und sich mit seinem Leben dafür einsetzt.“ Ralph Boes hält sich für diesen Menschen.

Das muss reichen: 37,50 Euro im Monat

Auf seinem Küchenbüfett steht ein Päckchen Glaubersalz, ein Abführmittel. Wer fastet und Glaubersalz trinkt, hat nicht so große Hungergefühle. Boes, 54, isst seit dem 1. November nichts mehr und trinkt nur ab und an etwas Gemüsebrühe. Boes nennt das, was er tut, Sanktionshungern. Das Jobcenter hat dem Hartz-IV-Empfänger die Lebenshaltungskosten zu 90 Prozent gestrichen, nachdem er über einen langen Zeitraum alle Jobangebote abgelehnt hatte. 37,50 Euro im Monat bekommt Boes, dazu die Miete für seine Wohnung. „Ich bin also gezwungen zu hungern und von Obdachlosigkeit bedroht.“

Boes hat die Situation selbst hervorgerufen – wobei er dieser Aussage widersprechen würde. Aus seiner Sicht ist es ein krankes, menschenunwürdiges System, das Menschen erst aus dem Erwerbsarbeitsmarkt drängt und sie dann sozial sanktioniert, um sie als wehrlose Billigstarbeitskräfte dem Arbeitsmarkt wieder zuzuführen. Boes ist Ergotherapeut, er verlor seinen Job in einem Altersheim 2006. Er machte sich mit Geistesschulungs-Seminaren selbstständig, die nicht einschlugen. Dann bezog er Arbeitslosengeld. Irgendwann bot ihm das Jobcenter an, in einem Callcenter zu arbeiten, sieben Euro die Stunde, Schichtdienst. „Sklavenarbeit“, sagt Boes. Er lehnte den Job ab, ebenso wie den im Büro einer Leiharbeitsfirma. „Da wäre ich ja zu einem der Sklavenhalter geworden.“ Ralph Boes will das nicht. Er will Geld vom Staat, um das zu tun, was er für richtig und wichtig und sinnvoll hält.

Damit das endlich klappt, wäre es ihm allerdings derzeit am liebsten, wenn der Staat aufhören würde, ihm Geld zu geben. „Ich habe das Jobcenter bereits gemahnt, meine Leistungen doch zu 100 Prozent zu streichen – weil 90 Prozent sind ja nicht verständlich“, sagt Boes und lehnt sich wieder in seinen Sessel zurück.

Boes hat sein Leben zur Kampagne gemacht

Mitten im Zimmer stehen zwei Laptops auf aneinandergeschobenen Tischen. An einem Rechner sitzt eine Frau, im Nebenzimmer arbeiten weitere Menschen – alles Mitstreiter, die helfen, den Fall Boes publik zu machen. Boes ist der Protagonist der Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen. Er glaubt an ein System, in dem der Arbeitsbegriff der Erwerbsgesellschaft aufgelöst ist. Arbeit, das ist für ihn „alles, was einem inneren und ernsten Anliegen eines Menschen folgt“. Dafür hat er jetzt sein Leben zur Kampagne gemacht. Die begann mit einem sogenannten Brandbrief unter anderem an die Bundeskanzlerin und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Er widerstehe ab heute „jeder staatlichen Zumutung, ein mir unsinnig erscheinendes Arbeitsangebot anzunehmen oder unsinnige, vom Amt mir auferlegte Regeln zu befolgen“.

Seit November hat Boes mit seinem Sanktionshungern die nächste Eskalationsstufe gezündet. Täglich notiert er im Internet, was er tut und was er an Gewicht verliert. Nur mit den Reaktionen, da hapert es derzeit noch ein bisschen. Die Linken-Chefin Katja Kipping hat einen offenen Brief geschrieben. Manchmal bekommt Boes auch Hassmails. Einer nannte ihn einen Parasiten. „Den habe ich dann gefragt, wie er über die Banker denkt, ob die in seinem Blick nicht ebenfalls Parasiten sind.“

Wie es weitergeht? „Ich bin hier im Widerstand“, sagt Boes und schlägt die Beine übereinander. „Ich werde sanktioniert bis an die Grenze des Todes, aber ich will nicht sterben, sondern gewinnen.“