Die Spanier haben genug. In Madrid protestieren seit Tagen Tausende gegen Politik und Banken. Klassische Medien haben das lange ignoriert.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Madrid - Dies ist nicht dasselbe wie der Tahir-Platz und nicht dasselbe wie der Pariser Mai", sagt Bruno Correa. "Aber was wir hier tun, wird in die Geschichte dieses Landes eingehen." Bruno Correa, ein 30-jähriger Physiotherapeut, ist einer von Hunderten junger Leute, die sich an der Puerta del Sol, dem zentralen Platz Madrids, unter improvisierten Zelten eingerichtet haben, um dort ihre Stimme für "einen wirklichen politischen und sozialen Wandel" in Spanien zu erheben. Correa ist heiser vom vielen Reden. Seine Mitstreiter haben ihn zu ihrem Sprecher erkoren. Und viele sind gekommen, um mitzuprotestieren oder sich zu informieren. Hier geschieht etwas Neues, vielleicht Wichtiges für ein Land, das seit drei Jahren eine der schwersten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte erlebt und das bisher still war.

 

Es begann am Sonntag, und für die meisten überraschend. Nirgendwo klebten auffällige Plakate, weder Zeitungen noch Radio- oder Fernsehsender hatten ihr Publikum darauf vorbereitet, dass für den Abend im ganzen Land Protestmärsche angekündigt waren. Dennoch kamen Zehntausende, aufgerufen über die sozialen Netzwerke von neu entstandenen Aktionsgruppen. Democracia Real Ya heißt eine dieser Gruppen: Endlich wahre Demokratie. Gerade dass kein bekannter Name hinter dem Protestaufruf stand, verschaffte ihm Glaubwürdigkeit. Allein in Madrid kamen mindestens 25.000 Leute, wahrscheinlich aber doppelt so viele zusammen, um friedlich und fröhlich durch die Innenstadt zur Puerta del Sol zu marschieren. "Wir sind keine Ware in Händen von Politikern und Bankern", stand auf dem Transparent, das sie der Demonstration vorantrugen.

Die Macht der Straße

"Einen solchen Widerhall hatten wir uns nicht vorgestellt", sagt Fabio GÖndara von Democracia Real Ya. Am Sonntagabend fanden ein paar Radikale, dass der Moment für Randale gekommen sei. 24 von ihnen nahm die Polizei fest. Am Montagabend versammelten sich mehr als 1000 hauptsächlich junge Leute auf dem Platz, um für deren Freilassung zu demonstrieren. Und sie beschlossen, die Nacht auf dem Platz zu verbringen. Am frühen Morgen schritt erneut die Polizei ein und vertrieb die Demonstranten. Die Bilder von der Räumung mobilisierten neue Proteste.

Am Dienstagabend war die Puerta del Sol wieder mit Tausenden Menschen jedes Alters gefüllt, die gut gelaunt und zugleich erregt beieinander standen, weil sie das Gefühl hatten, eine neue Macht darzustellen: die Macht der Straße, die Macht des Volkes. "Letzte Neuigkeit: Spanish Revolution", stand auf einem Transparent.

Demonstrationen gehen weiter

Über Nacht verwandelte sich der Platz ins Zentrum des Protestes, der auch andere spanische Städte ergriffen hatte. Mehrere Zeltplanen erstreckten sich gestern Vormittag über die Puerta del Sol, auf dem Boden lagen Pappkartons und Schlafsäcke, in einer Ecke stapelten sich Wasserflaschen und Essensvorräte, eine Lautsprecheranlage stand bereit. Hunderte junger Leute liefen umher, debattierten, sorgten für Ordnung und Sauberkeit. Von irgendwoher klangen Trommeln. "Heute Abend um 20 Uhr die nächste Demonstration", klang plötzlich eine Stimme aus der Lautsprecheranlage. "Wir sind dabei zu gewinnen!" Die Menschen lachten und jubelten.

Gegen wen oder was richtet sich der Protest? Bruno Correa versucht es zu erklären: "Bis zu einem gewissen Punkt können wir verstehen, dass der freie Markt uns diese Finanzkrise beschert hat. Was wir aber nicht verstehen, ist, dass die Politiker ausgerechnet diejenigen unterstützen, die uns in diese Krise geführt haben. Statt sie vor Gericht zu stellen und zur Verantwortung zu ziehen, hilft man ihnen sogar mit den Steuergeldern, das die Arbeiter dieses Landes erwirtschaften." Wohin soll diese Empörung führen? "Wir wollen keine Revolution anzetteln, keine Konfrontation schaffen oder das Land zerstören. Wir wollen friedlich eine wahre Demokratie schaffen. Die politische Klasse ist vollkommen abgekoppelt von der Gesellschaft und kennt unsere Sorgen nicht." Mindestens bis zum Sonntag sollen die Demonstrationen weitergehen. "Wir werden sehen, was danach geschieht", sagt Correa. "Ich kann dir nicht sagen, was wir tun werden. Aber dies wird nicht so schnell zu Ende sein."