Ein 45-Jähriger soll Sozialbeiträge und Lohnsteuer in Millionenhöhe hinterzogen haben, indem er Schwarzarbeiter beschäftigt hat. Vor Gericht geht es noch um die Höhe der Summe.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Stuttgart - Die Gesellschaft von Drogenhändlern und anderen Kriminellen empfindet der Angeklagte als Zumutung. „Das Gefängnis ist eine Katastrophe für einen normalen Menschen“, sagt der 45-Jährige. Seit Oktober sitzt er in Untersuchungshaft, am Freitag hat der Prozess gegen ihn am Landgericht Stuttgart begonnen. Als Geschäftsführer eines Bauunternehmens soll er der Rentenversicherung und den Krankenkassen rund 2,4 Millionen Euro an Beiträgen vorenthalten und außerdem fast eine halbe Million Euro zu wenig Lohnsteuer gezahlt haben. In seiner Grafenauer Firma hatte er jahrelang Schwarzarbeiter beschäftigt, die hauptsächlich auf Großbaustellen in Berlin im Einsatz waren. Der Angeklagte muss mit einer mehrjährigen Haftstrafe rechnen.

 

Die Anklage beteht vor allem aus Zahlen

„Ohne Zahlen kommen wir bei dieser Verhandlung nicht aus“, stellt der Vorsitzende Richter der Wirtschaftsstrafkammer schnell fest. Die Anklageschrift des Staatsanwalts besteht fast nur aus einer Aneinanderreihung verschiedener Summen. In 50 Fällen soll der 45-Jährige in den Jahren 2010 bis 2013 sowohl zu wenig Beiträge zur Sozialversicherung geleistet als auch „durch unrichtige Angaben“ die Lohnsteuer verkürzt haben, erklärt der Staatsanwalt. „Er führte die Beiträge bewusst nicht ab“, ist er sich sicher. Die Buchhaltung frisierte der Angeklagte mit Abdeckrechnungen, also Scheinrechnungen, von angeblichen Subunternehmern, die nicht erbrachte Leistungen in Rechnung stellten. Sein Anwalt stellte ein Geständnis in Aussicht – über die Höhe der Summe „bestehen allerdings Zweifel.“

Die Firma mit Sitz im Landkreis Böblingen war auf Berliner Großbaustellen gefragt: Am Bau des Ministeriums für Forschung und Bildung, des Einkaufszentrums Boulevard Berlin, des NH Hotels am Osthafen, eines Büro- und Wohnkomplexes am Humboldthafen und an einem Fotovoltaikzentrum waren die Arbeiter des Angeklagten unter anderem beteiligt. Die Aufträge kamen von Unternehmen wie Bam Deutschland, Züblin sowie Bilfinger&Berger. Als sich der nordrhein-westfälische Schlachtbetrieb Tönnies eine neue Zentrale leistete, wurden ebenfalls Bauhelfer in Grafenau angeheuert. „Er bediente sich einer großen Zahl von Arbeitnehmer“, sagt der Staatsanwalt. Rund acht Millionen Euro an Bruttoschwarzlohn soll der 45-Jährige in den drei Jahren kassiert haben.

Ein BMW-Coupé im Wert von 100 000 Euro

Seit 1999 ist der Angeklagte Geschäftsführer der fünf Jahre zuvor von seiner Frau gegründeten Baugesellschaft. „Wir haben klein angefangen“, sagt er vor Gericht. Zuletzt fuhr er ein BMW-Coupé im Wert von rund 100 000 Euro, seine Frau steuerte einen Audi A 7. Sein Gehalt lag bei 4000 Euro netto im Monat, sie verdiente rund 1400 Euro. In seiner Heimat Serbien war er etwas mehr als zwei Jahre lang Polizist gewesen. Als die politischen Unruhen auf dem Balkan begannen, zog er 1990 nach Deutschland zu seinen Geschwistern und heiratete im Jahr darauf. „Meine Familie ist mein Ein und Alles“, lässt er seinen Anwalt erklären. Zwei Töchter über 20 und einen 14-jährigen Sohn hat er. Wovon sie leben, seit er am 22. Oktober wegen Fluchtgefahr verhaftet wurde, kann er nicht sagen. Seine Konten wurden gepfändet.

Eine gute Nachricht hat der Richter allerdings für den Angeklagten: Seiner Berechnung nach liegt die Summe seiner Vergehen niedriger als vom Staatsanwalt gedacht. Er verzichtet zu Gunsten des 45-Jährigen unter anderem auf den Kinderlosenzuschlag und die Kirchensteuer. Und der Anwalt kündigt für die weiteren Prozesstage Beweise dafür an, dass einige Arbeiter vorschriftsmäßig angemeldet gewesen sseien. Dennoch wird der Bauunternehmer nicht so schnell den Bau wieder verlassen können. „Man ist 23 Stunden in der Zelle eingesperrt“, sagt er über die Untersuchungshaft, „das ist nicht einfach, sondern nur schlimm.“ Am 23. Juli wird die Verhandlung fortgesetzt.