Wegen sexueller Belästigung einer Außendienstlerin muss sich ein 58-Jähriger vor Gericht verantworten.

Leonberg - Sie kam mit einem Stromvertrag und ging mit einem Schock: Eine Außendienstmitarbeiterin wurde bei einem Beratungsgespräch von einem 58-Jährigen an der Brust betatscht. Doch der Mann aus Weil der Stadt behauptete in der Verhandlung am Leonberger Amtsgericht, dass er stattdessen in einen Sekundenschlaf gefallen sei. Die Richterin glaubte ihm kein Wort und verdonnerte ihn wegen sexueller Belästigung zu einer Geldstrafe.

 

Für die 26-Jährige war der Tag im vergangenen Juni wie jeder andere. Damals vermittelte sie seit mehreren Wochen Verträge für einen Stromanbieter und versuchte ihr Glück auch bei dem Weil der Städter. Zuerst wollte er sie abwimmeln, dann aber bat er die Frau in seine Wohnung. Die beiden setzten sich auf das Ecksofa, und die Stuttgarterin zeigte dem Mann auf ihrem Tablet-Computer, wie viel er bei einem Wechsel sparen könnte. Dann, wie aus dem Nichts, habe er ihr an die Brust gefasst und sei mit seiner Hand über ihren Oberschenkel gefahren, sagte sie im Gerichtssaal.

Das Opfer zögerte, den Mann anzuzeigen

„Ich war richtig geschockt und konnte nichts mehr sagen“, berichtete die Frau in der Vernehmung, die damals nur noch ihre Sachen zusammengepackt habe und aus der Wohnung gestürmt sei. Total aufgelöst habe sie dann ihren Chef und eine Arbeitskollegin angerufen – diese war es schließlich auch, die sie dazu überreden konnte, eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten. „Ich dachte anfangs, das bringt doch ohnehin nichts“, erklärte die 26-Jährige, die das Erlebnis offensichtlich noch nicht endgültig verdaut hatte, wie sich in der Verhandlung zeigte.

Der angeklagte Produktionsmitarbeiter eines Automobilherstellers wollte von einer sexuellen Belästigung nichts wissen. Der auf Medikamente angewiesene Mann sagte, er habe damals wegen seines zu hohen Blutdrucks den Tag freigenommen. Seine Erklärung für die Grapsch-Attacke: „Für einen kurzen Moment fielen mir die Augen zu, dann weiß ich nur noch, dass sie aufstand und die Wohnung verließ.“ Die Amtsrichterin Jasmin Steinhart wollte wissen, ob der Angeklagte einen schlappen Eindruck gemacht habe. Die 26-Jährige verneinte dies.

Die Richterin glaubt nicht an den Sekundenschlaf

Die Richterin war sich sicher: „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Berührungen eine unbewusst gesteuerte Handlung im Rahmen eines Sekundenschlafs waren, das entbehrt doch jeglicher Vorstellungskraft.“ Außerdem stellte sie in den Raum: „Warum sollte Sie eine wildfremde Frau zu Unrecht einer sexuellen Belästigung bezichtigen?“ Und nicht zuletzt wegen ihres anfänglichen Zögerns, den Mann anzuzeigen, war das Gericht von dessen Schuld überzeugt. Das Urteil für den Weiler, der bis dato strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten war: 60 Tagessätze zu je 40 Euro.

Die Noch-Rechtsreferendarin und angehende Staatsanwältin hatte zuvor in ihrem Plädoyer sogar 90 Tagessätze à 50 Euro gefordert und vor allem auf die psychischen Folgeschäden beim Opfer hingewiesen. Über dieses Ansinnen echauffierte sich der Verteidiger des Mannes: „Wenn man nach solch einem Vorfall psychische Folgeschäden davon tragen sollte, dann verstehe ich die Welt nicht mehr“, meinte der Rechtsanwalt kopfschüttelnd und plädierte auf Freispruch: „Hier steht Aussage gegen Aussage.“

Psychische Folgeschäden hin oder her – „Es war eine Situation, die man keiner Frau wünscht“, unterstrich die Richterin bei ihrem Urteil und sagte: „Das war ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung.“