Im Prozess um den gewerbsmäßigen Ticketbetrug ist das Verfahren gegen einen Herrenberger eingestellt worden. Die drei Mittäter müssen mit mehrjährigen Haftstrafen rechnen. Die Staatsanwältin wirft ihnen Profitgier und Eigennutz vor.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Stuttgart - Der Vertreter von der Deutschen Bahn ist zwar als Zeuge geladen – aber er wirkt wie ein Angeklagter. „Ich bin entsetzt“, sagte einer der Verteidiger zu seiner Aussage. „Unsere Strategie ist, unser System langfristig sicher zu machen“, hatte der Bahn-Vertreter zuvor erklärt. Aber dazu zähle nicht, verdächtige E-Mail-Adressen oder die Computer zu blockieren, mit denen Ticketbetrug betrieben wird. So konnten vier junge Männer mehr als 1800 illegal im Internet beschaffte Bahn-Fahrkarten weiterverkaufen. Damit haben sie bei dem Unternehmen einen Schaden von fast 360 000 Euro angerichtet. Seit 7. November müssen sie sich dafür vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. Gegen einen 19-jährigen Herrenberger ist das Verfahren allerdings eingestellt worden. Er hatte schon in einem vorhergehenden Prozess eine Strafe erhalten.

 

Die Bahn findet es sinnlos, E-Mails zu sperren

Selbst für die Bundespolizei ist das Verhalten der Bahn AG erstaunlich. Mit sogenannten IP-Blocking sei es möglich, bestimmten Computern den Zugang zum Online-Ticketverkauf zu verwehren, hatte ein Beamter, der in dem Fall ermittelte, vor Gericht erklärt. Doch der Konzern wendet solche Sicherheitstechniken nicht an. Es sei sinnlos, E-Mail-Adressen zu sperren, wenn der Betrüger innerhalb von wenigen Sekunden eine neue erstellen könne, erklärte der Zeuge von der Bahn. „Bei der Bahn hat man sich für einen reibungslosen Betriebsablauf entschieden und die Risiken in Kauf genommen“, fasste die Vorsitzende Richterin das Sicherheitskonzept zusammen.

Zwischen Mai 2012 und Dezember 2013 nutzten die Angeklagten diese Sicherheitslücken aus. Im Internet boten sie Bahn-Fahrkarten teilweise zu einem Drittel des tatsächlichen Preises an. Sie gaben sich als Reseller aus. Auf Bestellung buchten sie die Online-Tickets und bezahlten den richtigen Preis mit im Internet gestohlenen Kreditkartennummern. Die Ticketkäufer überwiesen ihren Kaufbetrag auf ein Girokonto der Betrüger. Die Idee dazu stammte von dem 19 Jahre alten Herrenberger, der von seinem Bruder darauf gebracht worden war. Im April ist dieser 23 Jahre alte Informatikstudent deshalb zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. Der jüngere Bruder erhielt eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren.

Der Herrenberger war nur kurz im Geschäft

Im aktuellen Fall war der Herrenberger nur kurz mit von der Partie. Ein 23 Jahre alter Fachinformatiker aus Sinsheim übernahm das Geschäft. Er spähte die Kreditkartennummern aus. In einem auf Internet-Betrügereien spezialisierten Forum fand er einen Komplizen: Der 22-Jährige aus Reutlingen übernahm den Verkauf der Tickets. Beide hatten mit persönlichen Problemen zu kämpfen. Während sich der Sinsheimer mangels Freundschaften in der virtuellen Welt eingekapselt hatte, war der andere aufgrund einer Depression in die Sucht nach Designerdrogen abgerutscht. Außerdem muss sich ein 24-jähriger Fachinformatiker aus Seesen bei Göttingen vor Gericht verantworten, weil er den beiden Girokonten beschafft hatte, die unter falschen Namen liefen.

Die Staatsanwältin forderte für die Angeklagten mehrjährige Haftstrafen. Für den Sinsheimer, der bereits seit vergangenen Dezember in Untersuchungshaft ist, beantragte sie eine Haftstrafe von fünf Jahren. Er habe aus Eigennutz und Profitgier gehandelt, warf sie ihm sowie dem Reutlinger vor. Der 22-Jährige soll ihrer Ansicht nach mit drei Jahren und neun Monaten bestraft werden. Er war nur ein Jahr lang mit der Betrugsmasche aktiv. Für den ältesten des Trios beantragte sie eine Haftstrafe von drei Jahren. Er habe als einziger „ein recht geordnetes Leben“ geführt. Das Urteil wird am Freitag, 28. November, gefällt.