Im Streit hat ein Mann in Stuttgart offenbar mehrfach auf einen Bekannten eingestochen. Kurios: Vor Gericht beleidigte das Opfer nicht nur den Angeklagten, sondern auch die Richter.

Stuttgart - Zum Prozessauftakt am Montag haben die Richter am Landgericht versucht, den Tathergang vom Abend des 28. September 2016 zu rekonstruieren – was im Detail nicht einfach war, weil der Angeklagte selber vorerst keine Angaben zur Person und zur Sache machen will. Und weil der erste Zeuge, zugleich auch das Opfer der Auseinandersetzung, die Nerven und die Geduld des Gerichts bis aufs Äußerste strapazierte. Der bemerkenswerte Auftritt des Geschädigten endete nach zweistündiger Befragung im Chaos und bescherte dem mutmaßlich alkoholisierten Zeugen wegen ungebührlichen Verhaltens eine Strafe in Höhe von 150 Euro oder ersatzweise dreitägiger Ordnungshaft.

 

Was als gesichert gelten darf: An besagtem Abend kam es in einer Gemeinschaftsunterkunft in Bad Cannstatt vermutlich aus nichtigem Anlass zu einem Streit zwischen dem Angeklagten und dem Opfer. Das Wortgefecht der beiden offenbar erheblich alkoholisierten Männer in der Küche soll in ein kurzes Handgemenge übergegangen sein. Als das 39 Jahre alte Opfer dachte, die Sache sei abgeschlossen, stand der 50-jährige Angeklagte ihm plötzlich mit zwei Messern in der Hand gegenüber, die er sich aus dem der Küche gegenüber liegenden Zimmer geholt hatte.„Ich habe ihn in diesem Moment nicht ernst genommen und eher gelacht als mich gesorgt“, erzählte das Opfer. Doch da hatte er sich gewaltig getäuscht. Beim Weggehen aus der Küche spürte der 39-Jährige plötzlich einen Schlag von hinten gegen seine Schulter. Einen zweiten Stich in den Gesichtsbereich konnte er durch das Hochreißen des linken Arms abwehren, jedoch trug das Opfer dadurch eine stark blutende Wunde am Unterarm davon.

Ein Stich drang in die Lunge ein

„Dann habe ich ihn gepackt, geschlagen, zu Boden gedrückt“, sagte das Opfer aus. Er habe versucht, den Angreifer, der noch immer die Messer in Händen hatte, am Boden zu fixieren, erzählte das Opfer. Er habe den Messerstecher aufgefordert, von weiteren Attacken abzusehen. „Er sagte, dass er aufhöre. Ich habe dann seine Hände losgelassen, und im nächsten Moment hat er wieder zugestochen“, sagte der 39-Jährige. Die Messerklinge drang auf Brusthöhe seitlich in seinen Körper ein und traf den linken Lungenflügel. Der 39-Jährige erlitt eine lebensgefährliche Verletzung.

Die Frage, wer die Polizei und die Sanitätsdienste alarmierte, ist noch nicht eindeutig geklärt. Von Seiten der Staatsanwaltschaft wird dem Angeklagten vorgeworfen, dass ihm der schlimme Zustand des Verletzten „gleichgültig“ gewesen sei. Das Opfer wurde einer Notoperation im Katharinenhospital unterzogen. „Aber mein Zwerchfell wurde bei dieser Operation geschädigt. Ich werde mein Leben lang unter diesem Vorfall zu leiden haben“, klagte der Mann im Zeugenstand über bis heute anhaltende Probleme beim Atmen und beim Essen.Allerdings verstrickte sich das Opfer bei seiner von Beleidigungen gegenüber dem Angeklagten, dem Verteidiger und sogar dem Gericht durchsetzten Aussage mehrfach in Widersprüche, sodass die Richter deren Glaubwürdigkeit erheblich in Zweifel zogen. Da es vermutlich keinen Augenzeugen des Vorfalls gibt, könnte am Ende des Prozesses Aussage gegen Aussage stehen, folgerte der Verteidiger ohne seine Überlegung zu erläutern. Doch stellte er die Aufhebung des Haftbefehls gegen seinen Mandanten, der sich wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verantworten muss, in den Raum. Da wollte Richter Spieth angesichts der „objektiven Spurenlage der Stichwunden“ nicht mitgehen. Am Freitag wird die Verhandlung fortgesetzt.