Der Kampf um Breiviks Psyche hat begonnen – er ist entscheidend für das Urteil. Der Attentäter will vermeiden, für unzurechnungsfähig erklärt zu werden.

Oslo - Im Prozess gegen den norwegischen Rechtsradikalen Anders Breivik hat der Angeklagte am Mittwoch ausführlich Gelegenheit bekommen, die beiden psychiatrischen Gutachten zu kommentieren, die dem Gericht über seinen Geisteszustand vorliegen. Damit hat der Kampf um Breiviks Psyche begonnen, der als entscheidend für den Ausgang der Verfahrens gilt. Der Attentäter will vermeiden, für unzurechnungsfähig erklärt zu werden. Politischer Extremismus sei etwas anderes als Irrsinn: „Wäre ich ein bärtiger Dschihadist, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass ich geisteskrank sei“, sagte er.

 

Der erste Bericht der Gerichtspsychiater Torgeir Husby und Synne Sørheim hatte Breivik als psychotisch und paranoid schizophren eingestuft. Ihr Gutachten sei „zu 80 Prozent erdichtet“ und enthalte „mehr als 200 Lügen“, behauptete der Angeklagte. „Wenn ich von der Person gelesen hätte, die in dem Gutachten beschrieben wird, hätte ich auch gedacht, sie gehöre ins Irrenhaus. Aber diese Person bin nicht ich.“ Die Argumente seien „bösartige Erfindungen“. Die Psychiater hätten sich bemüht, ihn als „weniger intelligent“ darzustellen, als er sei, und logisches Verhalten als paranoid eingestuft. So bestritt er, dass er aus Angst vor Bakterien und Strahlung zuhause eine Mundbinde benützt habe. Er habe nur befürchtet, in der Vorbereitungsphase der Attentate von seiner erkrankten Mutter angesteckt zu werden. Dass er vor Überwachung und Abhörung Angst habe, sei für einen „werdenden Terroristen“ eine natürliche Vorsichtsmaßnahme. Als unzurechnungsfähig eingestuft zu werden, sei „das Ärgste, was einem politischen Aktivisten passieren kann“, da es „delegitimiere“, wofür man stehe.

Breivik hat vieles als „übertriebene Darstellung“ relativiert

Breivik nannte Husby und Sørheim konsequent „Asbjørnsen und Moe“, bis ihm die Richterin Wenche Elizabeth Arntzen dies untersagte. Asbjørnsen und Moe gelten als Norwegens Gebrüder Grimm. Die Gutachter hätten früh den Schluss gezogen, dass „jemand, der so etwas tut, verrückt sein muss,“ sagte Breivik. Früher hatte er behauptet, dass sie ihre Erklärung aus Rachsucht oder als Auftragsarbeit der Regierung verfasst hätten. Davon distanzierte er sich im Verhör, wie er auch seine Einschätzung des Gutachtens als „bösartig“ korrigierte. In seinem Versuch, als zurechnungsfähig eingestuft zu werden, hat Breivik im bisherigen Prozessverlauf auch sonst seine Rhetorik gemäßigt und vieles von dem, was er früher schrieb und sagte, als „übertriebene Darstellung“ relativiert.

Völlig ungerührt hat der Attentäter auch am Mittwoch zugehört, als die Obduktionsberichte der Opfer des Bombenanschlags von Oslo und die schweren Verletzungen von Überlebenden beschrieben wurden. Genauso kalt hatte er in den Tagen davor das Massaker auf Utøya bis in grausamste Details beschrieben. Hingegen lässt er sich leicht aus der Fassung bringen, wenn die Ankläger bei seinem Selbstbild als „Tempelritter“ oder seiner im Internet zusammengekauften Propagandauniform verharren, die er mit in Photoshop hergestellten virtuellen Medaillen verzierte. Deutlich irritiert und mit rot angelaufenem Gesicht warf er dem Staatsanwalt Svein Holden mehrmals vor, nur darauf aus zu sein, ihn lächerlich zu machen. Als Holden wissen wollte, ob ihn die Anwesenheit der Rechtspsychiater beeinflusste, erwiderte Breivik: „Natürlich. Ich weiß ja, dass ich riskiere, im Irrenhaus zu landen.“

Breivik behauptet von sich, kein Narzisst zu sein

Das zweite Gutachten, von den Experten Agnar Aspaas und Terje Tørrissen erstellt, bescheinigte dem Massenmörder zwar Persönlichkeitsstörungen, nicht aber Unzurechnungsfähigkeit. Die Zusammenarbeit mit Aspaas und Tørrissen sei „unproblematisch“ gewesen, sagte Breivik, auch wenn er mehrere ihrer Schlüsse anfocht. So habe er zwar ein „gesundes Selbstvertrauen“, sei aber kein Narzisst. „Ein Narzisst ist nicht bereit, sich für andere opfern, wie ich dies tat“, sagte er.

Die Kommission für Gerichtsmedizin, die alle derartige Gutachten prüfen muss, ist mit dem zweiten Bericht unzufrieden. Die Autoren hätten versäumt, darauf einzugehen, inwieweit Breivik sein Verhalten auf die Erfahrungen mit dem ersten Gutachten abgestimmt habe. Bis Anfang kommender Woche wollen Aspaas und Tørrissen ihren Bericht ergänzen. Beurteilt das Gericht Breivik als zurechnungsfähig, bekommt er eine langjährige Haftstrafe.