Eine Gruppe Rechtsradikaler spielt SA, schüchtert ein und übersät Göppingen mit Propagandamaterial. Das scheint ausgestanden zu sein. Am Donnerstag endet der Prozess gegen die Rädelsführer der Autonomen Nationalisten. Die Szene zieht derweil weiter.

Göppingen/Stuttgart - Die Frau blickt irritiert. Ob es sich denn nicht um den Koffermordprozess handele, fragt sie flüsternd, nachdem sie eine Dreiviertelstunde lang konzentriert Telefonmitschnitten gelauscht hat, die ein Ermittler des Landeskriminalamts dem Gericht vorgespielt hat. Nein, hier gehe es um die Autonomen Nationalisten Göppingen (ANGP), bekommt sie zur Antwort. Schnell packt die Dame ihre Sachen und verschwindet. Es war die erste Zuhörerin seit Langem, die bei dem Prozess gegen die vier mutmaßlichen Rädelsführer der mittlerweile verbotenen Nazigruppierung gesehen wurde.

 

Noch im Januar zum Prozessauftakt vor der Staatsschutzkammer des Stuttgarter Landgerichts ist das ganz anders gewesen. Da wurde der größte Prozess erwartet, der in den vergangenen Jahren gegen Neonazis in der Region Stuttgart geführt worden ist. Ein Großaufgebot der Polizei sicherte die Verhandlung, durchsuchte die Prozessbeobachter aus der rechten und linken Szene ebenso wie die vielen Medienvertreter. Inzwischen langweilen sich die eingeteilten Beamten auf dem Flur des Landgerichts – wobei ein Ende in Sicht ist: Am Donnerstag, fünf Monate früher als geplant, fällt das Urteil in dem Verfahren, das schon lange nur noch dahinplätscherte.

Nazis beim Narrensprung

Auch für Göppingen ist der Prozess eher ein dunkler Schatten, der an schlechte Zeiten erinnert. Vier Jahre lang, von 2011 bis 2014, war die Industriestadt an der Fils wie paralysiert. Plötzlich waren ganze Straßenzüge mit rechtsextremen Aufklebern verunziert. Große Plakate hingen am Stadteingang. Die Aktivisten trafen sich zu Mahnwachen, demonstrierten gegen den Neujahrsempfang der Linken oder reihten sich heimlich mit Propagandamaterial beim Narrensprung ein.

Als schließlich der damalige Chef der Grünen Jugend, Alexander Maier, zur Gründung eines Bündnisses Kreis Göppingen nazifrei aufrief, standen sieben Rechtsextremisten vor der Stadthalle, machten Fotos und pöbelten später im Veranstaltungssaal herum. Selbst zur Eröffnung einer städtischen Ausstellung „Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen“ im Rathaus versuchten sich die Neonazis Zutritt zu verschaffen. „Wir mussten auf unser Hausrecht pochen“, erinnert sich die Referatsleiterin für Kinder und Jugend, Ulrike Haas. „Nach der Veranstaltung trieben sie sich immer noch vor dem Rathaus herum.“ Offenbar sollten die Besucher gezielt eingeschüchtert werden. Man spielte SA, allerdings nicht in braunen Hemden, sondern in legeren Kapuzenpullis. Denn das war das Markenzeichen der Autonomen Nationalisten, die sich äußerlich kaum unterschieden von Linksautonomen.

Ausnahmezustand in der Stadt

Bei zwei Großdemonstrationen im Oktober 2012 und 2013 herrschte in der Stadt Ausnahmezustand: 150 Neonazis, 1500 Polizisten und 2000 Linksautonome, die aus der ganzen Region angereist waren, lieferten sich Jagdszenen. „Das Ganze hat Göppingen sehr geschadet“, sagt der evangelische Dekan Rolf Ulmer, der sich selbst im Bündnis engagiert hat. Eigentlich verstand sich Göppingen als multikulturell aufgestellte Stadt, in der Angehörige aus mehr als 100 Nationen wohnen, in der seit Jahrzehnten kein Rechtsextremist im Gemeinderat saß und die schon seit 2007 am Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus mitwirkte. Doch plötzlich ging das hässliche Wort von Göppingen als „Wohlfühlort für Neonazis“ um.

Der Begriff, von einer örtlichen Zeitung überregional lanciert, hat getroffen. Gestimmt habe er nie, sagt Ulmer. Doch das grausame Medienecho habe zu einer Mobilisierung der Mitte der Gesellschaft beigetragen. Auch der Oberbürgermeister Guido Till (CDU), der anfangs zögerte, weil er eine Vereinnahmung der Stadt durch linksextreme Kräfte befürchtete, stellte sich nun uneingeschränkt in den Dienst der Sache. Sogar seinen Bauhof setzte er gegen rechts in Bewegung. Für den im Oktober 2014 geplanten Naziaufmarsch blockierte er mit einer Leistungsschau den Marktplatz.

Die Kühlerfigur mag nicht mehr

Doch zu diesem Aufmarsch kam es nicht mehr. Im Februar 2014 wurden die vier Rädelsführer der kleinen Göppinger Neonazizelle wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung verhaftet. Seither gab es nur noch eine kleine Solidaritätskundgebung bayerischer Neonazis am Göppinger Bahnhof.

Der Spuk scheint vorbei. Der 24-jährige Daniel R., der jüngste Angeklagte, der in Göppingen als Kühlerfigur der Gruppe galt, hatte jedenfalls keine Lust mehr. Nach kurzer Zeit legte er ein Geständnis ab. Ebenso wie sein Mitangeklagter Stephan H. kam er bald frei und kann mit einer Bewährungsstrafe rechnen. Kaum einsichtig gaben sich die beiden anderen, die sich von bekannten Szeneanwälten verteidigen ließen und die immer noch in Untersuchungshaft sitzen. Hitlergruß, Hitlerbilder und Judenscherze seien nur Späße im Suff gewesen, erklärten sie vor Gericht. Für eine tiefere innere Überzeugung stünden sie nicht. Allerdings passierte dem Angeklagten Manuel G. dann doch ein kleiner Freudscher Versprecher. Er sagte „Volksgerichtshof“, wo er doch eigentlich Verwaltungsgerichtshof meinte.

Nazis vor dem Asylbewerberheim

Andere Töne schlug lediglich Daniel R.s Anwalt Hans Steffan an. Die Gruppierung habe in Göppingen ein Klima geschaffen, in dem sich einige nicht mehr wohlgefühlt hätten. „Sicher möchte niemand erst auf brennende Asylunterkünfte warten.“ Ausgehend vom Jahr 2008/09 waren Arbeitslosigkeit und Leiharbeit das Thema, mit dem die Autonomen Nationlisten zu agitieren versuchten. In Zukunft dürfte es wohl ein anderes sein. Am Sonntag demonstrierten zehn Neonazis im 20 Kilometer entfernten Weilheim (Kreis Esslingen) gegen die Eröffnung eines Asylbewerberheims. Für Göppingen scheint das Kapitel hingegen ausgestanden zu sein – vorerst.