Den drei Mitgliedern der Band „Pussy Riot“ drohen harte Strafen wegen ihrer Protestaktion im März. Das erinnert an andere politische Prozesse.

Moskau - Nadja, Katja, Mascha – Ihr habt das Recht, so zu beten, wie Euer Herz es euch eingibt. Ich hoffe, ihr werdet sehr bald frei sein. Wir verfolgen alles aufmerksam.“ Die Grußbotschaft stammt vom britischen Musiker Peter Gabriel. Der Anwalt Nikolai Polosow überbringt sie den Adressaten kurz vor Beginn der Hauptverhandlung. Die drei jungen Frauen – Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch und Marija Alljochina – sind Mitglieder der feministischen Punk-Gruppe „Pussy Riot“. Mit Häkelmasken vor dem Gesicht, schrill, aber dürftig bekleidet, hatten sich die drei jungen Frauen zwei Wochen vor den russischen Präsidentenwahlen Anfang März auf dem Altar – dem Allerheiligsten – der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche postiert, die Gottesmutter angerufen, Putin zu vertreiben, und dabei die orthodoxe Liturgie persifliert. Seit Montag müssen sie sich wegen Anstiftung zu religiösem Hass verantworten. Darauf stehen bis zu sieben Jahre Haft. Ein Vergehen, das in anderen Ländern weitaus strenger bestraft wird, wie Regierungschef Dmitri Medwedew der britischen „Times“ sagte.

 
Während in Hamburg und Berlin Pussy-Riot-Solidaritätskonzerte stattfinden, Geschenke für die Kinder der Frauen gesammelt werden und deren Schicksal ganz hoch gehängt wird, haben sich in Russland staatliche und staatsnahe Medien – und dazu gehören fast alle TV-Sender – maximale Zurückhaltung verordnet. Wenn überhaupt, zeigen sie entrüstete Kirchgänger, die von Gotteslästerung sprechen und verlangen, das Gesetz in aller Strenge anzuwenden. Die Punkerinnen selbst kommen so wenig vor wie die Petition, mit der über hundert russische Künstler, darunter auch linientreue wie die Schauspielerin Tschulpan Chamatowa, die im Wahlkampf für Putin warb, um Milde baten.

So war es schon in einem ähnlich spektakulären Prozess: dem gegen Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowski. Offiziell wurden ihm Wirtschaftsvergehen zur Last gelegt, weite Teile der Öffentlichkeit vermuteten politische Hintergründe. Chodorkowski hatte die Opposition unterstützt und war den Geschäftsinteressen von Putins Paladinen in die Quere gekommen. Zufall oder nicht: Seine Causa wurde 2010 im gleichen Moskauer Gericht verhandelt wie die von „Pussy Riot“. Am ersten Tag sogar im gleichen Saal. Nur die kugelsicheren Scheiben fehlen an dem Käfig, in den alle Angeklagten gesperrt werden wie wilde Tiere – obwohl auch in Russland die Unschuldsvermutung gilt.

Blass, was nach fünf Monaten U-Haft kein Wunder ist, ernst, aber keineswegs deprimiert sitzen sie da: Nadja, Katja und Mascha. Vor dem Käfig stehen zwei massige Polizistinnen, ein Kollege führt einen Sprengstoff-Spürhund durch den nicht sehr großen, rappelvollen Saal. Als die Verhandlung eine Stunde verspätet beginnt, verliest Anwältin Violetta Wolkowa, eine Frau, so massig wie die Polizistinnen, eine Erklärung ihrer Mandantinnen, in der diese sich bei den Gläubigen entschuldigen. Sie hätten niemanden beleidigen wollen, die Performance in der Kirche sei „wahrscheinlich“ ein „ethischer Fehler“ gewesen.

Schuldig im Sinne der Anklageschrift bekennen sie sich nicht. Sie umfasst 143 Seiten. Erfahrene Gerichtsreporter rechneten daher mit einem Monolog von sechs bis sieben Stunden. Doch der Staatsanwalt ist schon nach fünfzehn Minuten fertig. Er trägt nur Auszüge vor, und die so, dass Marina Serowa, die Vorsitzende Richterin, Marija Aljochina dreimal fragen muss, ob sie die Vorwürfe verstanden hat. Sie hat nicht, ihr stehen Tränen in den Augen. Das Urteil, so Anwalt Nikolai Polosow noch vor Prozessbeginn, stehe ohnehin bereits fest, das Gericht werde den Wünschen der Macht nachkommen. Und er werde im Eilzugtempo durchgezogen.

Kratzer und blaue Flecke im Handgemenge

Nach der Mittagspause wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Richterin Serowa folgt damit einem Antrag der Anklage, die um die Sicherheit von Leib und Leben der „Geschädigten“ fürchtet, die nun vernommen werden: Kirchendiener und Gläubige, die im Handgemenge mit den Punkerinnen Kratzer und blaue Flecke davongetragen haben wollen. Vor allem aber: die Gotteslästerung habe ihnen und der gesamten orthodoxen Christenheit „nicht wiedergutzumachenden moralischen Schaden“ zugefügt. Für Gotteslästerung, kontert Verteidiger Polosow, gäbe es keinen Paragrafen in der russischen Strafgesetzgebung. Er fordert Freispruch und Fortsetzung der Online-Übertragung. Richterin Serowa schmettert ihn ab, ebenso wie die Anträge auf Zulassung von Entlastungszeugen. Dafür sei es in diesem Stadium des Prozesses zu früh. Dabei räumt auch die russische Strafprozessordnung Angeklagten das Recht auf Anträge zu jedem beliebigen Zeitpunkt ein.

Nach dem ersten Tag zieht der Anwalt Vergleiche zu den Gerichten der NS-Zeit und zu Stalins Justiz. „Das ist kein Gericht, sondern eine Abrechnung“ steht auch auf dem Plakat, das eine ältere Frau – nicht unbedingt ein typischer Frauen-Punk-Fan – vor dem Gerichtsgebäude in den Händen hält. Die Nebenkläger hingegen fühlen sich beleidigt. Eine Kirchenmitarbeiterin bezeichnet am Dienstag den Auftritt in der Christi-Erlöser-Kathedrale in Moskau als „Satanstanz“. Die Frauen aber fühlen sich als politische Gefangene und werfen der Justiz Folter vor. „Wir haben nicht geschlafen und kein Essen bekommen – das ist Folter“, sagt Marija Alljochina am Dienstag.

Peter Gabriel ist nicht der einzige Star, der den Umgang mit den Künstlerinnen harsch kritisiert. Unverhältnismäßigkeit und Humorlosigkeit sei bei Politikern kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche, rügte Sting letzte Woche unmittelbar vor seinem Konzert in Moskau. Auch Nina Hagen, „Franz Ferdinand“ und die „Red Hot Chili Peppers“ fordern die Freilassung.

Ein loser Zusammenschluss von Frauen

Sie stoßen auf taube Ohren. Denn „Pussy Riot“ rufen ungute Erinnerungen wach an andere Polit-Rocker, die sich Anfang der Achtziger mit im Untergrund produzierten Songs über KP-Generalsekretär Leonid Breschnew lustig machten, Kommunismus und Sowjetmacht verdammten und damit die Musik für Gorbatschows Perestroika und für den Systemwechsel lieferten.

Die Gruppe ist ein loser Zusammenschluss von zehn Frauen, von denen die älteste – Jekaterina Samuzewitsch – gerade 29 Lenze zählt. Aktiv ist die Band seit Oktober 2011, als der Wahlkampf in die heiße Phase ging. Markenzeichen von „Pussy Riot“ sind schräge Performances und wüste Schmähungen gegen Macht und Macho-Gesellschaft, vorgetragen aus lichter Höhe: Von Laternenmasten oder auf Dächern von Bussen. Berühmt-berüchtigt für ihre Kletterkünste ist vor allem Samuzewitsch, die daher auch den Künstlernamen Katze führt und als Vordenkerin der Gruppe gilt.

„Die gleichen Machtstrukturen wie bei Breschnew regieren das Land immer noch“, schrieb sie im Pussy-Blog. „Nur die Formen des Autoritarismus, der Kontrolle und des staatlichen Terrors haben sich geändert. Bürger werden in Russland bis heute von den Machthabern für psychisch Kranke gehalten, die keine Entscheidungen selbstständig treffen können.“ Jung und gut aussehend hätten die Pussy-Frauen durchaus das Zeug zu Ikonen, die der russischen Protestbewegung bisher fehlen. Statt neue Anhänger zu rekrutieren, haben sie mit ihrer „Performance“ bisher jedoch erst mal viele Sympathisanten verprellt. Auch wenn eine Mehrheit der Russen sie nicht im Gefängnis sehen will. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Lewada sprachen sich nur 33 Prozent der Befragten für ein Gefängnisurteil aus. Doch der Funktionär und Kirchensprecher Wsewolod Tschaplin ließ bereits vor einiger Zeit verlauten: „Gott hat mir persönlich offenbart, dass er ‚Pussy Riot‘ verurteilt.“