Hartz IV ist ausgelaufen, die Rente kommt erst später. Da hilft nur noch eins: ein Banküberfall, dachte sich ein älterer Herr aus Göppingen, nachdem er die Sendung „Aktenzeichen xy“ angeschaut hatte. Jetzt stand er vor Gericht – nicht im Fernsehen, sondern in echt.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen/Uhingen - Den beiden Bankberaterinnen in der Uhinger Volksbank ist die Erscheinung gleich komisch vorgekommen. An einem heißen Tag im Juni 2013 stand plötzlich ein Herr mit Hut, Sonnenbrille und zugeknöpftem Trenchcoat in der Filiale. Dass hier ein Bankraub stattfinden sollte, kam ihnen aber nicht in den Sinn. Irgendwie umgab den Herrn eine Aura des Harmlosen. „Ich dachte, er hätte empfindliche Haut“, erklärte sich eine der Damen den unpassenden Aufzug. Dann zückte der Trenchcoatträger einen Zettel. „Überfall. Habe Bombe. Keine Police. Otherwise bummbumm“, stand darauf. Da war die Aura des Harmlosen wie weggeblasen.

 

Nun saß ein älterer Herr auf der Anklagebank im Göppinger Amtsgericht, dessen freundliches und zurückhaltendes Wesen auch den Amtsrichter Heiko Griesinger vor ein Rätsel stellte. „Sie sind nicht vorbestraft, Sie engagieren sich sozial, Sie sind eigentlich ein guter Mensch. All das passt nicht mit so einer Tat zusammen“, sagte Griesinger. Vor einem Jahr hatte er die erste Auflage des Prozesses gegen den Mann deshalb abgebrochen, um ein psychiatrisches Gutachten einzuholen. Leopold Hermle, Chefarzt im Christophsbad, nahm sich viel Zeit. Doch eine psychische Störung, eine Demenz oder ähnliches konnte er nicht diagnostizieren. „Der Fall ist tragisch“, sagte Hermle. Der Mann sei intelligent, jedoch sehr unkritisch und naiv, vor allem aber „ein tief einsamer Mensch“.

„Einfach durchs soziale Raster gefallen“

Und er litt offenbar unter Geldnot. Seit einer Krebserkrankung im Jahr 2004 hatte der Mann, der einst als Pharmareferent gut verdiente, keine Arbeit mehr. Im Mai 2013 lief sein Hartz IV aus. Die Rentenzahlung setzte erst im August ein. „Sie sind durch das soziale Raster gefallen“, räumte Griesinger zugunsten des Angeklagten ein. Deshalb aber gleich eine Bank zu überfallen, sei sicher nicht der richtige Weg.

Die Idee sei ihm am Vorabend der Tat gekommen, erzählte der 66-Jährige vor Gericht. „In Aktenzeichen XY haben sie gezeigt, wie einfach das geht“. So setzte er sich am nächsten Morgen in Göppingen in den Bus nach Uhingen, ging in die Bank und erbeutete 1000 Euro. Exakt 16 Minuten später wurde er eine Häuserecke weiter von einer zufällig vorbei fahrenden Zivilstreife festgenommen. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell erwischt werde“, sagte er bei seiner Festnahme.

Der Täter ist selbst ein Opfer

Das Geld benötigte er im übrigen nicht nur für sich. Seit einem Jahr stand er in intensivem Kontakt mit einer Organisation in Ghana, die dort angeblich ein Waisenhaus betreibt. Später meldete sich von dort die angebliche Tochter eines verstorbenen Freundes, für deren Rückflug nach Deutschland er 500 Euro bereit stellte und die dann auf dem Weg zum Flughafen entführt worden sein soll. Für die Polizei steht fest, dass der Mann in diesem Fall Betrügern aufsaß. Wie Bankunterlagen belegen, hatte er seit Juni 2012 rund 20 000 Euro als Lösegeld oder zur Unterstützung des Waisenhausprojekts nach Afrika überwiesen. Das Geld hatte er sich zumeist von Freunden geliehen, unter anderem einem Göppinger Stadtrat.

Verteidigung und Anklage plädierten am Ende für eine zweijährige Bewährungsstrafe, die das Gericht auch verhängte. „Sie sind der erste Bankräuber, der bei mir mit Bewährung hinausläuft“, sagte Richter Griesinger. Nach Ghana hat der Mann übrigens nach eigenen Angaben immer noch „sporadischen“ Email-Kontakt. Geld wird er aber nicht mehr überweisen – schon allein wegen der richterlichen Auflage: „Schicken Sie nur einen Cent, sperre ich Sie ein.“