Uli Hoeneß gesteht im Saal 134 des Münchener Justizpalastes mehr als er muss. Doch den Richter stimmt er mit seinen Aussagen nicht milde. Selbst seinem Verteidiger wird es einmal zu viel.

München - Vielleicht hat Uli Hoeneß sich das vom ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff abgeschaut. Jedenfalls bemüht sich auch der Präsident des FC Bayern München darum, keine Bilder von sich auf der Anklagebank zu liefern. Um 9.25 Uhr betritt der 62-Jährige mit seinen Verteidigern den Saal 134 im Münchener Justizpalast. Er bleibt stehen, hält sich mit beiden Händen an der Stuhllehne fest und ringt sich ein Lächeln ab in Richtung der Kameras. Hoeneß wirkt angespannt. In der ersten Reihe sitzt seine Frau. Der Angeklagte und seine Verteidiger setzen sich erst, als der Vorsitzende Richter Rupert Heindl alle Anwesenden bittet, Platz zu nehmen. Unter den Zuschauern im Saal ist eine Frau, die „Uli Hoeneß – Legend“ Weiß auf Rot auf ihrem Pullover trägt. Sie guckt dabei sehr ernst.

 

Der Richter wird seinem Ruf als Mann klarer Worte schnell gerecht. Er ruft die Medien zur Ordnung, sich an die „Spielregeln“ zu halten. Ein Begriff, den er im Zusammenhang mit dem Bayern-Präsidenten für sehr passend hält, wie er lächelnd sagt.

Warten auf die Verhandlungspause Foto: dpa

Staatsanwalt Achim von Engel verliest die Anklage. Damit werden erstmals alle Vorwürfe gegen Hoeneß öffentlich. Es geht um die Steuererklärungen von 2003 bis 2009, in denen Hoeneß seine Einkünfte auf seinem bis zur Selbstanzeige vor den deutschen Behörden verborgenem Konto bei der Schweizer Bank Vontobel hätte angeben müssen. Engel spricht noch von einem zweiten Konto, dass Hoeneß dort ab 2004 gehabt habe. Hoeneß habe über diese Schweizer Konten „in erheblichem Umfang Spekulationsgeschäfte“ getätigt. Der Staatsanwalt verliest minutenlang Zahlen und Daten. Für jedes einzelne der sieben relevanten Jahre nennt er die Beträge auf den Cent genau, die Hoeneß verschwiegen haben soll. Engel rasselt in hoher Geschwindigkeit Millionensummen herunter. Insgesamt geht es um Gewinne in Höhe von 33 526 614 Euro und hinterzogenen Steuern in Höhe von 3 545 939,70 Euro. Hoeneß habe zudem zu Unrecht steuerliche Verlustvorträge aus Geldgeschäften in Höhe von 5 519 739,20 Euro erhalten. Die Anklage wirft Hoeneß Steuerhinterziehung in sieben Fällen vor. Engel sagt auch: „Ob und wenn ja, in welchem Umfang weitere Devisentermingeschäfte steuerpflichtig waren, ist nicht bekannt.“ Hoeneß wird darauf eine überraschende Antwort liefern.

Hoeneß will „reinen Tisch“ machen

Hoeneß will nicht schweigen. Er verliest eine Erklärung und beantwortet die Fragen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft. Er will „reinen Tisch“ machen, das betonen er und seine Anwälte immer wieder. Doch bevor Hoeneß spricht, meldet sich sein Verteidiger, Hanns W. Feigen, zu Wort. Feigen sagt: „Wir sitzen alle hier, weil Uli Hoeneß Selbstanzeige eingereicht hat.“ Auch die Staatsanwaltschaft habe erklärt, dass „ohne diese Selbstanzeige die Ermittlungen der Behörden ergebnislos verlaufen wären“. Dies sei zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen. „Im Zentrum steht die vollständige Rückkehr des Uli Hoeneß zur Steuerehrlichkeit“; sagt Feigen. Und dann folgt die Überraschung.

Richter Heindl, der Angeklagte und Staatsanwalt Engel. Foto: AP Afp Pool

Sie steht nicht in der Anklageschrift, Hoeneß liefert sie am ersten Tag über seine Verteidiger selbst. Es geht nicht mehr nur um Steuern in Höhe von 3,5 Millionen Euro, die der FC-Bayern-Präsident hinterzogen hat. Nach Angaben von Hoeneß` Verteidiger Hanns W. Feigen hat sich der Betrag noch einmal um mehr als 15 Millionen Euro erhöht. „Grob geschätzt“, sagt Feigen in einer Verhandlungspause. Es könnten auch 18 oder 20 Millionen Euro sein, im strafrechtlich relevanten Zeitraum der Jahre 2003 bis 2006.

Erst vor zwei Wochen hatte Hoeneß Unterlagen über weitere Devisengeschäfte in der Schweiz vorgelegt. „Warum erst jetzt?“, fragt Staatsanwalt Engel den Angeklagten. Er fragt es gleich noch einmal: „Warum erst jetzt?“ Hoeneß hat keine rechte Erklärung dafür. Seine Verteidiger verweisen auf aufwendige und zeitraubende Recherchen von Seiten der Bank.

Zuvor aber spricht Hoeneß selbst. „Hohes Gericht“, beginnt er, „die mir in der Anklage zur Last gelegten Steuerstraftaten habe ich begangen. Mit anderen Worten: Ich habe Steuern hinterzogen.“ Er wisse, dass seine Selbstanzeige am 17. Januar 2013 daran nichts geändert habe. „Ich habe aber gehofft, durch meine Selbstanzeige einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen.“ Er bereue sein „früheres Verhalten zutiefst“, sagt er. Und fügt hinzu: „Ich bin kein Sozialschmarotzer.“

Hoeneß war nach eigenen Angaben davon ausgegangen, seine Steuersünden mittels eines geplanten Steuerabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz sühnen zu können, ohne öffentliches Aufsehen. Er habe zwei Steuerexperten und einen Wirtschaftsanwalt damit beauftragt, für ihn eine Selbstanzeige abzugeben. Dabei ging offenbar etwas schief. Denn die Staatsanwaltschaft zweifelt an der Wirksamkeit dieser Anzeige und hat Anklage erhoben. Das Gericht scheint es ähnlich zu sehen, sonst gäbe es den Prozess nicht. Eine Selbstanzeige ist laut Abgabenordnung nur dann wirksam, wenn ein Steuersünder alle Karten auf den Tisch legt, aus freien Stücken. Straffreiheit tritt nach Paragraf 371, Absatz zwei, nicht ein, wenn eine Tat „ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste“.

Die Anklageschrift muss noch ergänzt werden. Foto: dpa

Die Anklagebehörde sieht in Hoeneß` Angaben in der Selbstanzeige erhebliche Lücken. Hoeneß selbst sagt: „Als Laie kann ich zu diesen juristischen Fragen nichts beitragen.“ Seine Verteidiger meinen, auch die nun neu genannten hinterzogenen Steuern in Höhe von rund 15 Millionen Euro seien für versierte Augen schon in der Selbstanzeige erkennbar. Sie sagen: Die Anzeige sei im Ganzen nicht unvollständig, ihr Mandant sei auch nicht erwischt worden, und die Selbstanzeige also wirksam. Der Richter hakt nach. Immer wieder. In der Anlage zur Anzeige seien nur die Jahressalden aufgeführt. Gewinne während der jeweiligen Jahre fehlten. Hoeneß will seinen Experten vertraut haben und habe „keine Ahnung von Selbstanzeigen“. Der Richter: „Da brauche ich kein Steuerrechtler sein, um zu wissen, dass ich für Verluste keine Steuern zahlen muss.“ Den Angaben zufolge hätte er nur in drei Jahren Gewinne gemacht. Hoeneß: „Um ehrlich zu sein, ich habe das gar nicht richtig angeschaut.“ Auch die Kontoauszüge nicht. Er sagt: „Letztlich war es ein großes Durcheinander.“ Heindl bleibt skeptisch.

Hoeneß hat offenbar Morddrohungen erhalten

Als das Abkommen mit der Schweiz scheiterte, habe Hoeneß die Selbstanzeige erstellt – „dann überschlugen sich die Ereignisse“, sagt er. Hoeneß meint die Durchsuchung bei ihm zu Hause am 20. März 2013 und den Haftbefehl, der gegen Zahlung einer Kaution von fünf Millionen Euro nur außer Vollzug gesetzt ist. Als die Ereignisse öffentlich wurden, habe er Morddrohungen erhalten. Er und seine Familie litten bis heute unter den Belastungen. „Ich will hier aber nicht jammern.“

Vor Gericht wird die Vernehmung eines mittlerweile pensionierten Steuerfahnders verlesen, der in jener Nacht auf den 17. Januar im Hause Hoeneß dabei war, um die Selbstanzeige zu erstellen. Es wird deutlich, dass beim hektischen Erstellen kaum Bankunterlagen vorlagen. Alles musste sehr schnell gehen.

Hoeneß war durch die Recherche eines „Stern“-Reporters aufgeschreckt worden. Das erklärt die Eile. Er selbst sagt zunächst, die Recherchen des Journalisten hätten nichts mit seiner Selbstanzeige zu tun gehabt. Da fährt ihn sogar sein Verteidiger Feigen an: „Herr Hoeneß, erzählen Sie doch keinen vom Gaul!“ Der Richter ergänzt: „Das kann man glauben, muss man aber nicht.“

Das Konto bei der Schweizer Vontobel-Bank, um das es geht, habe er seit 1975, sagt Hoeneß vor Gericht. Es hätte einige Jahre geruht, bis er es schließlich für Börsenspekulationen nutzte. 2001 soll der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus, der Mitte 2009 verstarb, Hoeneß 20 Millionen D-Mark geliehen und auf das Konto eingezahlt haben. Hoeneß gab an, zuvor durch Fehlspekulationen hohe Verluste gemacht zu haben. Dann kamen die Dreyfus-Millionen. Von da an habe er dann „richtig gezockt“, „teilweise Tag und Nacht“, sagt er vor Gericht. Er spricht von einem „Kick“.

Die Steuerbehörde sei derzeit dabei, die rund 70 000 Blatt Papier zu sichten, die der Angeklagte vor etwa zwei Wochen nachgereicht habe, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft nach der Verhandlung. Am zweiten Verhandlungstag, am heutigen Dienstag, wird die leitende Steuerfahnderin im Fall Hoeneß als Zeugin gehört. Die Beamtin ist mit der Prüfung der neuen Akten betraut. Eigentlich sollte das Urteil schon am Donnerstag gesprochen werden. Danach sieht es jetzt nicht mehr aus.