Das Amtsgericht geht von einer Verwechslung aus und spricht einen 23-Jährigen vom Vorwurf des gewerbsmäßigen Drogenhandels frei.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Waiblingen - Wie ein Häufchen Elend sitzt der Angeklagte zwischen seinem Verteidiger und einem Dolmetscher für die arabische Sprache. Als ihn der Vorsitzende Richter des Waiblinger Schöffengerichts nach dem Namen fragt, bricht der 23-jährige Algerier schier in Tränen aus. Das ändert sich während des ganzen Prozesses nicht, der am Montagvormittag beginnt und nach einer Unterbrechung am frühen Nachmittag endet. Und zwar anders, als der verzweifelte junge Mann sicher angenommen hat, ganz anders.

 

An Verdeckten Ermittler Hasch verkauft

Die Staatsanwaltschaft hat ihm ein Verbrechen vorgeworfen: gewerbsmäßigen unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln, was mit einer Mindeststrafe von einem Jahr geahndet wird und deshalb nicht mehr als Vergehen, sondern als Verbrechen gilt. In der Waiblinger Asylunterkunft Innerer Weidach soll er mit Haschisch gedealt haben und dabei zwei Mal an einen Verdeckten Ermittler – im Fachjargon VE genannt – geraten sein. Da dieser nicht nur einmal, sondern zwei Mal zwei Drogenstäbchen von etwa 1,2 Gramm Haschisch zum Preis von jeweils 20 Euro gekauft hat, wird bereits von gewerbsmäßigen Handel ausgegangen. Zumal der Dealer in Waiblingen die Stäbchen aus einem Vorrat genommen hat, in dem mindestens fünf gewesen sein sollen, wie der VE seinem Führungsbeamten mitgeteilt hat.

Dass in der Unterkunft Drogengeschäfte abgewickelt werden, steht außer Zweifel. Aus diesem Grund setzt das Landeskriminalamt dort auch Ermittler ein. Doch ob es sich bei dem Dealer mit dem Spitznamen Sammy tatsächlich um den Angeklagten handelt, das bezweifelt nicht nur dessen Verteidiger. „Das betrifft mich alles nicht“, lässt auch der 23-Jährige das Gericht über den Dolmetscher wissen und sieht noch verzweifelter aus als vorher. Und angesichts der Fragen des Vorsitzenden Richters Steffen Kärcher hat man als Zuhörer den Eindruck, auch diesen treiben zumindest Zweifel daran um, dass es sich beim Angeklagten tatsächlich um jenen Sammy handelt.

Eine Verwechslung soll aufgeklärt werden

„Wie groß sind Sie denn“, will der Richter wissen und der Angeklagte antwortet, so zwischen 1,80 und 1,81 Meter. Bei der Festnahme habe er 96 Kilo gewogen, sagt er. Was diese Aufnahme der Körpermaße soll, wird durch eine Feststellung des Richters klar: „Laut der Akte soll der Täter 1,85 bis 1,90 Meter groß und auffallend schlank sein. Das trifft aber nicht auf den Angeklagten zu. Er wirkt sogar jetzt, nachdem er abgenommen hat, eher athletisch.“

Für den Mann aus Algier, der auf der Straße aufgewachsen ist und sich mit Gelegenheitsarbeiten durchs Leben schlägt, ist das Ganze eine Verwechslung. Er geht davon aus, dass Sammy ein anderer Bewohner der Unterkunft ist, der sich mit diesem Spitznamen sogar vorstellte. Aus diesem Grund veranlasste der Verteidiger vor dem Prozess eine zweite Vorlage von Porträtfotos. Nun war der Verdeckte Ermittler, der bei der ersten Vorlage zu hundert Prozent den Angeklagten erkannt haben wollte, nicht mehr sicher. Um sich ein genaues Bild von Sammy machen zu können, lud das Gericht diesen als Zeugen vor.

Doch dieser erscheint nicht. Das Gericht will ihn vorführen lassen, doch stellt sich heraus, dass der Mann bereits seit einem Jahr nicht mehr gesehen wurde und auch keine staatlichen Leistungen mehr bezieht. Nach der Unterbrechung ist die Beweisaufnahme beendet.

Freispruch aus tatsächlichen Gründen

Die Staatsanwaltschaft geht trotzdem weiter davon aus, den Richtigen vor sich zu haben, und fordert eine Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung. Der Angeklagte wirkt noch verzweifelter. Doch es kommt anders, als er fürchtet, ganz anders. Das ändert allerdings nichts am Gesichtsausdruck des 23-Jährigen, nicht einmal, als das Gericht dem Antrag seines Verteidigers folgt und ihn freispricht. „Hier ist es zu einer Verwechslung gekommen. Deshalb erfolgt ein Freispruch aus tatsächlichen Gründen“, so der Richter – also nicht aus Zweifel für den Angeklagten.