Im Prozess mit einem leitenden Motorentwickler geht Audi zum Gegenangriff über: dieser habe selbst Dokumente vernichtet und Informationen vorenthalten. Stimmt nicht, erwidert dessen Anwalt – und belastet erneut Vorstandschef Stadler.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Heilbronn - In der Diesel-Abgasaffäre liefern sich Audi und ein einstiger Manager nun eine offene Konfrontation. Vor dem Arbeitsgericht Heilbronn überzogen sich der Autohersteller und der einstige Chef der Dieselmotoren-Entwicklung am Standort Neckarsulm, Ulrich W. , wechselseitig mit schweren Vorwürfen. Die Anwälte von Audi begründeten in der Verhandlung erstmals, warum man den seit Ende 2015 freigestellten Ingenieur kurz nach einer Verhandlung vorige Woche vor dem Landesarbeitsgericht in Stuttgart außerordentlich gekündigt habe. Er habe sich vor allem nach dem Auffliegen der Abgasaffäre „erhebliche Pflichtverletzungen“ zuschulden kommen lassen. Sein Anwalt wies dies vehement zurück und wertete die Kündigung als Versuch, den für Audi unangenehmen Gerichtstermin in Heilbronn platzen zu lassen.

 

In einem vorgeschalteten Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz war W. im Sommer 2016 zunächst vor dem Arbeitsgericht Heilbronn und vorige Woche vor dem Landesarbeitsgericht unterlegen. Kurz danach wurde bekannt, dass Audi wegen der Dieselaffäre vier Mitarbeiter gekündigt habe – darunter auch den Entwicklungschef für Dieselmotoren, der zwei Ebenen unterhalb des Vorstands tätig war und zuletzt 458 000 Euro im Jahr verdiente. Der Grund: W. habe „dezidierte Kenntnis“ von Motormanipulationen durch Abschalteinrichtungen (Fachausdruck: Defeat Devices) gehabt, darüber aber weder Vorgesetzte noch den Vorstand informiert. Zudem habe er zu Beginn der Affäre seine Mitarbeiter aufgefordert, Dokumente zu vernichten und selbst Dokumente vernichtet.

Kündigung kurz nach Gerichtstermin

All dies habe Anfang Februar eine Untersuchung durch eine deutsche Anwaltskanzlei ergeben, sagte ein Audi-Vertreter. Man habe bei den Kündigungen ordnungsgemäß den Betriebsrat beteiligt und bei W. damit bis nach dem Termin vor dem Landesarbeitsgericht abgewartet, um nicht den Eindruck einer Sanktion für seine rechtliche Gegenwehr zu erwecken. In Stuttgart hatten die Anwälte noch argumentiert, die Untersuchung durch die US-Kanzlei Jones Day sei bisher nicht abgeschlossen; damit werde im ersten Quartal gerechnet. Mit dieser Begründung lehnte es der Autohersteller ab, den seit November 2015 bei vollen Bezügen freigestellten Motorentwickler wieder zu beschäftigen. Wie in Stuttgart verwahrten sich die Audi-Vertreter auch in Heilbronn dagegen, W. sei in der Dieselaffäre ein „Bauernopfer“ oder ein „Sündenbock“; solche Ausdrücke seien reine Polemik .

Der Anwalt von W., Hans-Georg Kauffeld, wies die Vorwürfe scharf zurück. Sie stützten sich auf Gerüchte, die schon länger herumwaberten. Personen aus dem Umfeld des Managers hätten aber bestätigt, dass dieser keine Weisung erteilt habe, Unterlagen zu vernichten, und auch selbst keine vernichtet habe. Nach einer Krisensitzung in Wolfsburg habe er lediglich gemahnt, angesichts er anlaufenden Untersuchung vorsichtig zu sein und etwa keine Mails zu verschicken.

Für den VW-Vorstand geopfert?

Zugleich betonte Kauffeld, dass der Ingenieur sich stets gegen Manipulationen gewehrt und entsprechende Ansinnen zurückgewiesen habe. Sein Bestreben sei es stets gewesen, saubere Motoren zu entwickeln; darauf habe er wiederholt gepocht. Der Vorstand um Audi-Chef Rupert Stadler müsse hingegen schon früh über Schummeleien informiert gewesen sein, wie interne Dokumente belegten. Das System von Manipulationen bei Audi bestehe danach schon seit 2007/08 und sei intern „nie ein Geheimnis“ gewesen. Stadler gibt an, erst Ende 2015 davon erfahren zu haben; bei dieser Darstellung bleibe man, hieß es von Seiten Audis.

Ulrich W. schilderte vor Gericht ein Gespräch mit Stadler kurz nach seiner Freistellung. Der Audi-Chef habe ihm signalisiert, dass er nichts gegen ihn habe, sondern auf Druck von VW und des VW-Aufsichtsrates handele. Dabei seien die Namen des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stefan Weil und des Betriebsratschefs Bernd Osterloh genannt worden. Auf seinen Vorhalt, dass er, W., also für den VW- Vorstand geopfert werde, habe Stadler geantwortet: „Da ist was Wahres dran.“

Erbitterter Streit um Dokumente

In gereizter Atmosphäre stritten die Vertreter von Audi und von W. mehrfach über Dokumente, aus denen zitiert wurde. Man kenne diese nicht, Herkunft und Verfasser blieben unklar, monierten die Anwälte des Unternehmens. Kauffeld hielt dem entgegen, dass alles bei Audi bekannt sein müsse; bei seiner fast zehnstündigen Vernehmung durch die US-Anwälte von Jones Day habe W. die Unterlagen teils selbst vorgelegt, teils vorgelegt bekommen. Es könne keine Rede davon sein, dass er diese Informationen vorenthalten habe. Der Abschlussbericht der Kanzlei war wiederholt angekündigt worden, hat sich aber immer wieder verzögert.

Auf der Grundlage der Untersuchung hat Volkswagen in den USA einen Vergleich über fünf Milliarden Euro abgeschlossen; nach einer weiteren Einigung zahlt Audi zwei Milliarden Euro wegen 80 000 Diesel-Fahrzeugen, die nicht den US-Vorgaben entsprachen. Dies beträfe aber nur das Unternehmen, hieß es. Strafrechtliche Untersuchungen gegen Verantwortliche seien davon nicht berührt.

Richter spricht von Betrugsverdacht

Der Vorsitzende Richter und Chef des Arbeitsgerichts Heilbronn, Carsten Witt, verwies ebenfalls auf eine mögliche strafrechtliche Dimension der Dieselaffäre. Der „Verdacht des Betruges“ werde nicht nur in den USA, sondern auch in Europa zu diskutieren sein. Während gegen zahlreiche Verantwortliche von VW bereits länger Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig laufen, prüft die Staatsanwaltschaft München nach wie vor, ob gegen Audi-Mitarbeiter überhaupt ein Anfangsverdacht vorliege. Inwieweit die von W. beim Arbeitsgericht vorgelegten Dokumente dort bekannt sind, war nicht zu erfahren.

Audi drang in der Verhandlung mehrfach darauf, dass es sich bei den Inhalten um Geschäftsgeheimnisse handele; daraufhin wurde die Öffentlichkeit zeitweise ausgeschlossen – teils unter Protesten aus dem Publikum. Das Gericht kündigte für den 10. März eine Entscheidung an.