Die junge Frau, deren Baby kurz nach der heimlichen Geburt in einem Keller gestorben ist, hat offenbar niemandem erzählt, dass sie ein Kind erwartet – und alles verdrängt, bis es zu spät war.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Rems-Murr-Kreis/Stuttgart - In dem Prozess gegen eine junge Frau, deren Baby kurz nach der Geburt an Sauerstoffmangel gestorben ist, haben am zweiten Verhandlungstag mehrere Zeugenaussagen ein deutlicheres Bild davon gezeichnet, was vermutlich in jener Nacht passiert ist, als das Kind heimlich in einem Keller zur Welt gebracht wurde. Die heute 21-Jährige aus dem Rems-Murr-Kreis muss sich, wie berichtet, vor dem Landgericht wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung verantworten. Von ihrer Vernehmung am ersten Verhandlungstag war die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden.

 

Freundin hat die Schwangerschaft nicht bemerkt

Eine frühere Freundin berichtete nun, dass sie sich am frühen Morgen des 19. Oktober vor gut zwei Jahren gemeinsam mit der damals 18-Jährigen zu Fuß auf den Weg zu einem Bahnhof im Remstal gemacht habe, nachdem beide eine Geburtstagsparty in einer ausgebauten Gartenhütte besucht hatten. Am Bahnhof habe man festgestellt, dass keine Züge mehr fuhren. Während die Freundin ein Taxi orderte, habe sich die jetzt Angeklagte zu einem weiteren Fußmarsch in die entgegengesetzte Richtung entschieden. Dass ihre frühere Freundin, die sie nur noch selten sah, hochschwanger gewesen sei, habe sie weder gewusst noch bemerkt, sagte die 20-jährige Zeugin aus.

Aus Aussagen von Polizeibeamten und einer Sozialpädagogin vom Jugendschutzteam des Stuttgarter Olgahospitals, die die Angeklagte in den Folgetagen betreute, stellt sich der weitere Verlauf der Ereignisse so dar: Als auf dem weiteren Heimweg die Fruchtblase der jungen Frau platzte und der Versuch scheiterte, einen Krankenwagen zu alarmieren, weil der Akku des Handys seinen Dienst verweigerte, kam sie nach Stunden in dem Mehrfamilienhaus an, in dem sie mit ihrer Mutter in einer gemeinsamen Wohnung lebt. Statt sich dieser zu offenbaren, sei sie in den Keller gegangen, wo sie allein und über mehrere Stunden hinweg einen Jungen zur Welt brachte. Dieser habe keine Lebenszeichen gezeigt, auch nicht, als sie ihm einen Klaps auf den Po gegeben habe. Sie habe das Baby notdürftig in Tücher eingewickelt und sei dann in eine Art Dämmerzustand gefallen. Auch habe sie sich wegen der Geburtsanstrengungen und einer Nervenquetschung kaum bewegen können.

Mutter macht sich auf die Suche

Die Mutter machte sich unterdessen Sorgen, weil ihre Tochter nach der Party nicht nach Hause zurückgekehrt war. Sie fragte bei Freundinnen nach und rief schließlich die Polizei an. Die indes meinte, dass für eine Vermisstenanzeige noch nicht genügend Zeit vergangen sei. Daraufhin machte sie sich selbst auf die Suche.

Am Abend schließlich fand sie ihre Tochter in deren Zimmer, das Bett und die Kleidung waren blutverschmiert. Erst da soll sich die heute 21-Jährige ihrer Mutter offenbart haben. Bis dahin habe sie ihre Schwangerschaft auch ihr gegenüber geleugnet. In der Woche vor der heimlichen Geburt soll es allerdings deswegen zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den beiden gekommen sein. Der Sozialpädagogin vom Jugendschutzteam hatte die junge Frau gesagt, das Kind sei bei einem One-Night-Stand entstanden, ein erster Schwangerschaftstest aber sei negativ ausgefallen. Später habe sie niemandem von der Schwangerschaft erzählt. Sie habe große Angst gehabt, dass alles zusammenbricht, was sie sich nach einer schwierigen Phase aufgebaut habe: die Familie, die Ausbildung, der Freundeskreis.

Mit der Situation völlig überfordert

An jenem Abend seien die beiden Frauen mit der Situation völlig überfordert gewesen. Schließlich hätten sie beschlossen, das tote Kind in der Babyklappe des Stuttgarter Weraheims abzulegen. Am nächsten Morgen rief die Tochter dort an und gab ihre Identität preis, bevor sie in die Frauenklinik fuhr, um sich behandeln zu lassen. Dort wurden ein erheblicher Blutverlust, ein schwerer Dammriss sowie Folgen der Nervenquetschungen festgestellt. Die körperlichen Geburtsfolgen mussten unter Narkose verarztet werden. Der Prozess wird fortgesetzt.