Nach einer Serie von Rückschlägen steht Heckler & Koch vor einem juristischen Erfolg. Das Landgericht Koblenz lässt erkennen, dass die Bundesrepublik keine Ansprüche gegen die Oberndorfer wegen der Mängel des Gewehrs G36 hat. Das könnte für die Verteidigungsministerin ein Problem werden.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Koblenz - Die Oberndorfer nehmen es mit Goliath auf: „Heckler & Koch GmbH gegen die Bundesrepublik

 
Der Vorsitzende Richter Ralph Volckmann macht dem Verteidigungsministerium Vorhaltungen. Foto: dpa
Deutschland“ kündigt der Aushang vor Saal 121 im Landgericht Koblenz an. Vor einem Jahr hat das Beschaffungsamt der Bundeswehr mit Sitz in Koblenz Gewährleistungsforderungen wegen ungenügender Treffsicherheit des Gewehrs G36 angemeldet – daraufhin hat Heckler & Koch eine sogenannte negative Feststellungsklage erhoben. Der Hersteller will sich bestätigen lassen, dass die bei Dauerfeuer und hohen Außentemperaturen festgestellten Defizite gar nicht bestehen.

Der Paukenschlag erfolgt gleich zu Beginn. Nach vorläufiger Würdigung der Sache werde das Gericht der negativen Feststellungsklage voraussichtlich stattgeben, sagt der Vorsitzende Richter Ralph Volckmann. Mängelansprüche des Beschaffungsamtes bestehen demnach nicht. Seine Ausführungen geraten zu einer Standpauke für Bundeswehr und Verteidigungsministerium, die demnach zu spät auf die angeblichen Mängelberichte reagiert haben. Seit 1996 sei das Gewehr in der Verwendung. Erste Anzeichen, dass das Trefferverhalten nicht optimal sein könnte, habe es mit Beschwerden aus der Truppe 2011 gegeben. Doch habe die Bundeswehr immer weiter bestellt – auch 2013, als es um neue Versionen für die Spezialkräfte ging. Auf den Hersteller sei man in keiner Weise zugegangen, weil das G36 für Temperaturunterschiede wie in Afghanistan nicht geeignet sei. „Der Vertrag wurde wie immer geschlossen“, sagt der Richter. „Was soll Heckler & Koch da noch machen?“

Juristische Standpauke an die Adresse der Bundeswehr

Die Technischen Lieferbedingungen böten eine 40-seitige detaillierte Beschreibung, wie jedes Gewehr zu funktionieren hat. „Mehr konnte Heckler & Koch an Ansprüchen nicht erwarten“, so Volckmann. Das Unternehmen habe die vertraglichen Verpflichtungen erfüllt. Wenn sich nun durch die politische Großwetterlage – wie Afghanistan – das Anforderungsprofil der Ausrüstung ändere, sei zu fragen, ob das Profil nicht im Vorfeld angepasst werden müsse. „Die Bundeswehr muss in der Lage sein, ihre Anforderungen dem Produzenten rechtzeitig mitzuteilen.“

Vergeblich wendet der Anwalt der Bundeswehr, Thomas Asmus, ein, dass die Spezialkräfte das G36 „für ungeeignet halten, wie wir jetzt festgestellt haben“. Sie hätten höhere Präzisionserwartungen – dies sei auch im Bericht der vom Grünen Winfried Nachtwei geleiteten Untersuchungskommission erwähnt. Die Waffe müsse auch im 24-Stunden-Einsatz und bei erheblichen thermischen Veränderungen in anderen Klimazonen voll einsatzfähig sein.

Unverständnis über gescheiterten Einigungsversuch

Der Richter äußert zudem sein Unverständnis darüber, dass bisher keine gütliche Einigung möglich war, nachdem man sich im September 2015 bei Vergleichsgesprächen „sehr nahe aufeinander zu bewegt hat“. Gescheitert war ein Einvernehmen vordergründig an der Frage, wer die Kosten übernimmt: Bei einer Nachbesserung müsste Heckler & Koch zahlen, bei einer vertraglichen Sondervereinbarung die Bundesrepublik. Eine Umkonstruktion würde 600 Euro pro Gewehr kosten, so die bisherige Schätzung. Aus Sicht von Heckler & Koch macht diese bauliche Veränderung aber keinen Sinn mehr, wie sein Anwalt Martin Imbeck sagt. Die Extremtemperaturen seien auch in Afghanistan nicht ständig gegeben.

Nachdem Imbeck – ähnlich wie Asmus – zu Beginn gleich klar gemacht hatte, dass er „im Moment keinen Spielraum für eine Güteverhandlung“ sehe, appelliert Volckmann an die Kontrahenten, den „vernünftigsten Weg“ zu wählen, um zu einer kurzfristigen Lösung zu kommen, bis die Entscheidung über den Neuerwerb eines Standardgewehrs fällt. Noch bis mindestens 2019 muss die Truppe mit dem G36 auskommen. „Es kann doch nicht sein, dass sich die Soldaten mit untauglichen Waffen gegen Angriffe der Taliban zur Wehr setzen müssen“, kritisiert der Richter. Eine Aussage mit Gewicht: Sie klingt so, als ob Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Truppe wissentlich großer Gefahren aussetze, weil sie sich den G36-Problems unbedingt mit der Ausmusterung entledigen wollte und Nachbesserungen ablehnte.

Für den Verfall einer Erweiterung des Verfahrens gibt Volckmann beiden Seiten ausdrücklich mit auf den Weg, „den Kern des Ganzen – das Leben der Soldaten – nicht aus den Augen zu verlieren“. Die Kombattanten haben nun bis zum 15. Juli Zeit für eine schriftliche Stellungnahme. Das Urteil wird dann am 2. September um elf Uhr verkündet. (AZ 8 O 198/15)

Von der Leyen will neues Gutachten vorlegen

Schon zu Beginn hatte Volckmann betont, dies sei „kein Untersuchungsausschuss“ – entschieden werde nach zivilrechtlichen und bürgerlichen Normen. „Irgendwelche politische oder mediale Erwartungen werden durch das Gericht nicht befriedigt.“ Dennoch könnte von der Leyen bei einem für sie negativen Ausgang unter politischen Druck geraten. Für diesen Fall scheint sie sich schon jetzt zu wappnen: Nach weiteren Labortests will sie in den nächsten Tagen ein neues Gutachten vorlegen, das die Treffunsicherheiten des Gewehrs erneut belegen soll.