Ein Beziehungsdrama, dass im Herbst einen 20-stündigen Großeinsatz der Polizei in Eglosheim verursacht hat, wird seit Montag vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelt. Ein 39-Jähriger soll versucht haben, seine Freundin zu töten – das SEK musste ihn schließlich vom Dach eines Hochhauses holen.

Ludwigsburg - Es sind zermürbende Stunden für die Polizisten, Notfallseelsorger und Nachbarn im Eglosheimer Wohngebiet „Straßenäcker“. Eine Nacht und einen halben Tag lang hält im vergangenen Oktober ein 39-Jähriger das Viertel im Ludwigsburger Osten in Atem, droht, sich vom Dach eines Hauses zu stürzen, entfernt sich dann wieder von der Kante und kann schließlich, nach 20 Stunden, von einem Sondereinsatzkommando der Polizei überrumpelt und festgenommen werden. Seit Montag muss sich der Mann vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. Der Vorwurf: Widerstand gegen die Beamten, gefährliche Körperverletzung – und versuchter Totschlag. Denn die Flucht auf das Dach ist an jenem 15. Oktober nur das spektakuläre Ende eines Beziehungsdramas.

 

Laut Staatsanwaltschaft kommt es gegen 21 Uhr in der Wohnung der Freundin des Angeklagten zu einem Streit. Als die Frau zu ihrer Mutter flüchten wollte, die weiter oben im gleichen Haus wohnt, habe sie der Angeklagte verfolgt, zu Boden gedrückt und mit beiden Händen gewürgt, bis sie das Bewusstsein verloren habe. Die Mutter und ein Nachbar hätten den Angeklagten aber wegziehen können.

Das SEK kann den Mann auf dem Dach überwältigen

Doch damit endet das Martyrium laut den Ermittlern nicht – im Gegenteil. Als die Polizei anrückt, verschanzt sich der Angeklagte mit dem Opfer in der Wohnung der Mutter. Er droht, seine Freundin zu töten und verletzt sie mit einem Brotmesser am Hals. Sekunden später treten die Beamten die Wohnungstüre ein, wobei der Angeklagte mit dem Messer nach einem der Polizisten sticht, sagt der Oberstaatsanwalt Matthias Schweitzer: Nur eine Schutzweste habe schlimmeres verhindert. Trotzdem sei der Beamte verletzt worden.

Die 36-Jährige hätten die Beamten befreien können, doch obwohl sie dabei Pfefferspray eingesetzt hätten, sei es dem Angeklagten gelungen, über einen Balkon auf das Dach des sechsgeschossigen Hauses zu klettern, wo er damit drohte, sich hinunterzustürzen. Erst gegen 17.20 Uhr am nächsten Tag gelang es dem Sondereinsatzkommando, den Mann auf dem Dach zu überwältigen. Er wurde festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft.

Zum Prozessauftakt am Montag wollte der Ludwigsburger sich nicht zu den Geschehnissen in jener Nacht äußern. Er fühle sich dazu wegen seiner Schlafstörungen nicht in der Lage. Einer seiner drei Verteidiger kündigte an, dass er am nächsten Verhandlungstag eine Erklärung für seinen Mandanten abgeben werde. Auch die 36-Jährige soll dann zu Wort kommen.

Um sich ein Bild des Angeklagten und seiner Beziehung zum Opfer zu machen, vernahmen die Richter der 9. Schwurgerichtskammer den psychiatrischen Sachverständigen, der sich für ein Gutachten ausführlich mit dem Einzelhandelskaufmann unterhalten hatte. Dabei zeichnete der Gutachter das Bild einer Beziehung, die schon lange Risse hatte.

Der Angeklagte leidet unter psychische und körperliche Beschwerden

Immer wieder kam es offenbar zu heftigen Streitereien, mehrfach habe der Angeklagte seine Partnerin dabei geschubst, geschlagen und ihr gedroht; auch die Polizei rückte an. Dem Einzug in die Wohnung der Frau folgte bald darauf der Auszug, mal lebte der Angeklagte in einer Wohnung in Tamm, dann wieder in Eglosheim bei seiner Partnerin. Mal trennte sich das Paar, um kurz darauf wieder zusammenzukommen. Vor allem die gesundheitlichen Probleme des gebürtigen Marbachers belasteten offenbar das Zusammenleben – und minderten den Lebensmut des Paares.

Im Sommer 2016 hätten die beiden mehrmals versucht, sich durch ein Kohlefeuer in der Wohnung das Leben zu nehmen. Doch die erwartete Kohlenstoffmonoxid-Vergiftung sei ausgeblieben, erklärte der Gutachter. Generell habe der Angeklagte während der Gespräche viel über psychische und physische Beschwerden geklagt. Rund 20 000 Euro aus dem Verkauf einer Wohnung habe der Mann in den vergangenen Jahren in verschiedene Behandlungen bei Ärzten in ganz Deutschland gesteckt – viele davon ohne Erfolg. Der Angeklagte glaube an einen „bösen Fluch“, der über seinem Leben hänge.

Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt, ein Urteil ist für den 6. April geplant.