Darf eine Gerichtschefin einen Richter ermahnen, weil dieser zu langsam arbeitet? Darum geht es am Freitag in zweiter Instanz vor Gericht. Der Fall des Richters am Oberlandesgericht Karlsruhe, Außenstelle Freiburg, wird bundesweit beachtet.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Das zeitliche Zusammentreffen ist rein zufällig. Schon lange bevor ein politischer Streit um die Frage entbrannte, ob und inwieweit die Justiz von den Sparplänen der Landesregierung ausgenommen werden kann, war die Verhandlung vor dem Dienstgerichtshof für Richter beim Oberlandesgericht Stuttgart terminiert. Doch auch dort geht es an diesem Freitag unter anderem darum, wie die Justiz mit ihrem vorhandenen Personal auskommt und mit welchen Mitteln sie dieses zu mehr Effizienz antreiben darf.

 

Ein Richter am Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, Außenstelle Freiburg, wehrt sich dort gegen seine Chefin, die OLG-Präsidentin Christine Hügel. Sie hatte ihm vorgeworfen, seine Verfahren nicht mit der gebotenen Beschleunigung zu bearbeiten; deswegen sei er erheblich hinter den durchschnittlichen Erledigungszahlen seiner Kollegen zurückgeblieben (die StZ berichtete). Die Folge: wenn der Richter seine Arbeitsweise nicht ändert, droht ihm ein Disziplinarverfahren mit entsprechenden Sanktionen. Eine „politische Mission“ hatte Hügel zwar bestritten, zugleich aber auf die Vorgaben des Landeshaushalts hingewiesen: Die Ressourcen der Justiz seien „Ausfluss der demokratischen Willensbildung“ des Gesetzgebers; daher sei die dritte Gewalt verpflichtet, ihre Aufgaben innerhalb dieses Rahmens „bestmöglich zu erledigen“.

Richter will nicht weniger gründlich arbeiten

Der Richter sieht sich durch die Ermahnung in seiner von der Verfassung garantierten richterlichen Unabhängigkeit verletzt. Einen solchen Verstoß seiner Präsidentin will er nun in zweiter Instanz vom Dienstgerichtshof feststellen lassen, nachdem ihm das Dienstgericht als erste Instanz überwiegend nicht gefolgt war. Ihm wird nicht etwa vorgeworfen, zu wenig zu arbeiten, sondern seine Fälle nicht schnell genug vom Tisch zu bekommen; der Richter will jedoch nicht gegen seine Überzeugung weniger gründlich arbeiten.

Für seine Freiburger Anwältin Christina Gröbmayr hat das Verfahren auch eine „politische Dimension“: Sein Ausgang entscheide mit darüber, wie die Politik künftig dem Ressourcenbedarf der Justiz nachkommen müsse. Vor der Hauptverhandlung erhob Gröbmayr erneut schwere Vorwürfe gegen Hügel. Gegenstand des Verfahrens sei „ein in Deutschland einzigartiges Bekenntnis einer Gerichtspräsidentin zum Verfassungsbruch“. Diese wolle ihren Mandanten dazu zwingen, „Recht nur noch nach Maßgabe des Landeshaushalts anzuwenden“; der Rechtsschutz für die Bürger drohe damit von Stellenkürzungen im Etat abhängig zu werden. Zugleich griff Gröbmayer den baden-württembergischen Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) an, weil er bisher nicht gegen die OLG-Präsidentin vorgehe; die Entscheidung über eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sie hat er bis zum Abschluss der gerichtlichen Klärung zurückgestellt. Hügels Maßnahme entspreche den Interessen des Ministers, dass „möglichst viele Fälle von möglichst wenigen Richterinnen und Richtern in möglichst kurzer Zeit erledigt“ würden, betonte die Anwältin. Stickelberger hat sich zu dem Fall bisher nur sehr zurückhaltend geäußert, unter Verweis auf das laufende Verfahren.

Der Justizminister hält sich zurück

Vertreterin des Landes in dem Verfahren ist übrigens Hügel selbst. In einem Schreiben an Stickelberger hatte die Anwältin des Richters verlangt, das Ministerium solle statt ihr die Vertretung übernehmen. Begründung: Da die OLG-Präsidentin „unmittelbar persönlich betroffen“ sei, befinde sie sich in einem „nicht vermeidbaren Interessenkonflikt“. In anderen Bundesländern werde dieser durch entsprechende Regeln von vornherein vermieden. Stickelberger sieht nach Auskunft einer Sprecherin jedoch „derzeit keinen Anlass“, die Vertretung von seinem Ressort übernehmen zu lassen. Es sei der „gesetzlich vorgesehene Regelfall, dass das Land durch diejenige Behörde vertreten wird, die die angegriffene Maßnahme erlassen hat“.

Der Ausgang des Verfahrens wird nicht nur in der baden-württembergischen Justiz, sondern auch bundesweit mit Spannung erwartet. Ob an diesem Freitag schon eine Entscheidung fällt, ist offen.