Ein Schwieberdinger hat auf dem Weg zur Arbeit einen schweren Unfall, doch die Berufsgenossenschaft will nicht zahlen. Begründung: der 48-Jährige sei einen unnötigen Umweg gelaufen. Jetzt hat der Mann recht bekommen.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Das Heilbronner Sozialgericht hat entschieden, dass Arbeitnehmer auf ihrem Weg zur Arbeit auch dann gesetzlich unfallversichert sind, wenn sie einen kleinen Umweg nehmen. Geklagt hatte ein 48-jähriger Schwieberdinger, weil die Berufsgenossenschaft (BG) einen schweren Unfall des Mannes nicht als Arbeitsunfall anerkannt hatte. Der 48-Jährige war auf einem Zebrastreifen von einem Auto erfasst worden und hatte sich dabei mehrfach den Unterschenkel gebrochen. Seine Genossenschaft lehnte es daraufhin ab, die Kosten für die medizinische Rehabilitation zu übernehmen und ein Verletztengeld zu zahlen.

 

Die Genossenschaft erkennt den Arbeitsunfall nicht an

Die Begründung: der 48-Jährige sei von seiner Wohnung zu einer ein Kilometer entfernten Bushaltestelle gegangen und dabei verunglückt, obwohl er eine Bushaltestelle in nur 290 Meter Entfernung hätte nutzen können, um zur Arbeit zu gelangen. Der Mann habe folglich nicht den unmittelbaren Weg genommen, sondern einen „Abweg“ – was im rechtlichen Sinn so viel wie Umweg bedeutet.

Das Gericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt. Die Kollision mit dem Auto müsse als Arbeitsunfall anerkannt werden, denn der von dem Mann gewählte Weg von seiner Wohnung zur Haltestelle sei zwar etwas weiter gewesen, die Gesamtwegstrecke zur Arbeit jedoch in beiden Varianten ungefähr gleich lang. Hinzu komme, dass ein Versicherter sein Fortbewegungsmittel frei aussuchen dürfe und nicht „grundsätzlich die schnellste Fortbewegungsart wählen“ müsse, um gesetzlich unfallversichert zu sein. Der Kläger machte außerdem geltend, dass er bewusst die weiter entfernt liegende Haltestelle nutze, weil er sich wegen einer Herzerkrankung täglich bewegen müsse. „Der Versuch der Berufsgenossenschaft, meinen Mandanten auf einen bestimmten Bus festzunageln, war völlig abwegig“, sagt die Anwältin des Mannes.

Das Gesetz gibt bei solchen Unfällen keine klare Linie vor

Die Berufsgenossenschaft hat den Richterspruch bereits akzeptiert und auf eine Berufung verzichtet, das Urteil ist damit rechtskräftig. Allerdings gibt es durchaus Fälle, in denen Genossenschaften mit ihrer ablehnenden Haltung Erfolg hatten. Der für Arbeitsunfälle relevante Paragraf des Sozialgesetzbuchs ist vergleichsweise allgemein gehalten, weshalb es zu diesem Themenkomplex eine Fülle von höchstrichterlichen Einzelfallentscheidungen gibt. „Wir stehen vor der kniffligen Aufgabe, diese auf unsere konkreten Fälle zu übetragen“, sagt Joachim von Berg, der Sprecher des Heilbronner Sozialgerichts.

Generell, so von Berg, sei es im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen schwierig, übergeordnete Grundsätze aufzustellen, „die für alle Fälle passen“. Klar sei nur, dass ein Arbeitsunfall nur als solcher anerkannt werde, wenn „kein wesentlich längerer Weg zur Arbeit“ gewählt worden sei. Wo die Grenze liege, sei schwer zu definieren. „Aber wenn der Kläger erst einmal einen Kilometer in die falsche Richtung gelaufen wäre, um dann einen Bus zu nehmen, der länger unterwegs ist – dann wäre die Entscheidung des Gerichts womöglich anders ausgefallen.“