Baden-Württemberg arbeitet an Regeln für eine angemessene Versorgung von seelisch Erkrankten. Gesucht wird Schnelligkeit und angemessene Hilfe für Betroffene.

Stuttgart - Krankenkassen machen schon seit einiger Zeit darauf aufmerksam: Erkrankungen der Seele greifen um sich. Statistisch erkrankt mindestens jeder Dritte im Laufe seines Lebens psychisch einmal so, dass er behandelt werden muss. Das Problem ist also in der Mitte der Gesellschaft angekommen, für das Problembewusstsein gilt das noch nicht.

 

Wer wegen einer Behandlung vorstellig wird, muss lange Wartezeiten hinnehmen. Währenddessen werden die Schwierigkeiten in der Schule, am Arbeitsplatz oder im Beziehungsgeflecht des Betroffenen nicht weniger. Zudem soll die Hilfe zum Patienten passen und unbürokratisch erfolgen. Das ist ein frommer Wunsch angesichts verschiedenster Beteiligter: Krankenkasse, Jugendamt, Rentenversicherung, Sozialamt, Arbeitsagentur und mehr.

Sie wolle „nicht immer und immer wieder anderen Leuten ihr Leben erzählen“, schildert Matthias Rosemann, der Vorstandsvorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrischer Verbünde, aus einem Gespräch mit einer Patientin. Rosemann war kürzlich Referent bei einer Anhörung der Grünen-Landtagsfraktion. Die neue Regierung hat sich vorgenommen, das Dickicht auszulichten. Sie will „erstmals Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch kranke Personen in zusammengeführter Form gesetzlich regeln und die Voraussetzungen für deren chancengleiche Beteiligung an der Gesundheitssicherung schaffen“. So haben es Grün und Rot im übrigen auch in ihren Koalitionsvertrag geschrieben.

Der Markt kann es nicht richten, gefragt ist der Staat

Gesundheitsministerin Katrin Altpeter (SPD) möchte „die vorhandenen Hilfeangebote zum einen ausbauen und zum anderen verbindlich machen“. Manfred Lucha, psychiatriepolitischer Sprecher der Grünen und Organisator des Hearings will nichts weniger als „das beste Gesetz für psychisch Kranke in Deutschland“.

Es scheint naheliegend, dass der Staat regelnd tätig wird. Hilfen für psychisch Kranke so zu organisieren, dass sie leicht zugänglich und transparent, zudem in ihrer Vielfalt aufeinander abgestimmt sind, dabei mit fachlicher Kompetenz erfolgen, „ist weit weg von dem, was man Markt nennt“, sagt Rosemann. Wer sonst als die öffentliche Hand könnte ein einklagbares Recht auf eine angepasste Behandlung etablieren? Das ist der Anspruch an ein „Psych-KG“, das Betroffene „in unserem So-Sein akzeptiert“, wie es sich Rainer Höflacher vom Landesverband Psychiatrie-Erfahrener wünscht und es im Übrigen die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorgibt.

Doch es tun sich Fragen auf. Eine gemeindenahe Versorgung müssten die Kommunen organisieren. „Wir bekennen uns zur Inklusion und Partizipation psychisch Kranker und ihrer Angehörigen“, sagt Christa Heilemann, die Dezernentin für Jugend und Soziales beim Landkreistag. Die Kommunen sehen den Vorteil einer gesetzlichen Regelung darin, dass sie gleiche Verhältnisse in den Städten und auf dem Land herstellen könnte. Aber wer zahlt das „Psychiatrieamt“, das die Hilfen vor Ort koordiniert? Die Kreise fordern: das Land.

Geld würde es auch kosten, klinische Einrichtungen gemäß den neuen Maßstäben zu ertüchtigen, mahnt der Geschäftsführer des Zentrums für Psychiatrie Südwürttemberg, Dieter Grupp. Sind in der Krankenhausförderung Investitionsmittel vorgesehen? Wer zahlt das Personal, das für Krisenfälle vorgehalten werden müsse? Warum aber, so fragt Matthias Seibt, ein Psychiatrie-Erfahrener, braucht es „für eine Subgruppe der Bevölkerung“ überhaupt Sondergesetze“? Es schwingt das Misstrauen angesichts der deutschen Geschichte im Allgemeinen und der der Psychiatrie im Besonderen mit. Seibt vergleicht den Neonazi, der bei einer Randale zuschlägt „und nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung als freier Mann nach Hause geht“, mit dem psychisch Kranken, der in einer aggressiven Phase prügelt, aber das Risiko läuft, in der Psychiatrie zu landen und gegen seinen Willen medikamentös ruhig gestellt zu werden. Zwangsbehandlung ist das Stichwort, das Psychiatrie-Erfahrene auf die Palme treibt.

Das Selbstbestimmungsrecht ist das höchste Gut

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Selbstbestimmungsrecht psychisch Kranker einen hohen Rang eingeräumt. Im Unterbringungsgesetz des Landes heißt es im Heilbehandlungen betreffenden Paragrafen, der Untergebrachte „hat diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen zu dulden, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln“. Vergangenen Oktober haben die Verfassungsrichter diesen Passus für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Derzeit arbeitet die Landesregierung an einer Neufassung. Zwangsmaßnahmen sollen nur noch in ganz engem Rahmen möglich sein, nämlich bei „akuter Gefahr“ für Leib und Leben des Betroffenen oder Dritten.

Die Klage in Karlsruhe geht auf einen im Maßregelvollzug einsitzenden Mann zurück, also einen Straftäter, der wegen einer psychischen Störung nicht im Gefängnis, sondern in der Psychiatrie untergebracht ist. Er machte die Gefahren durch Nebenwirkungen der Psychopharmaka geltend, die ihm verabreicht werden sollten. Sie veränderten zudem die Persönlichkeit. So etwas gegen seinen Willen verabreicht zu bekommen könne nicht angehen.

Hier stößt der Rechtsstaat an Grenzen. Auch das Psych-KG wird die Frage von Zwangsbehandlungen regeln müssen. Im Herbst sollen Eckpunkte vorliegen. In mehreren Arbeitsgruppen wird daran getüftelt. Verschiedenste Verbände arbeiten mit, auch die Psychiatrie-Erfahrenen. Bei einer so frühen Einbindung „sind die Wünsche natürlich auch andere“, als wenn eine Gruppe erst auf eine ausgearbeitete Version reagiert, heißt es im Ministerium. Aber so will es die neue Regierung ja.