In der St.-Vitus-Kirche in Geislingen-Türkheim werden die EM-Spiele der deutschen Nationalelf auf Großleinwand gezeigt. Das Public-Viewing hat kontroverse Diskussionen ausgelöst, aber nicht zuletzt für viele positive Rückmeldungen gesorgt.

Region: Andreas Pflüger (eas)

Geislingen - Viele Besucher haben sich die Trikots der deutschen Nationalelf übergezogen oder sind mit Fahnen, Schals und anderen schwarz-rot-goldenen Devotionalien ausgestattet. Es gibt Bier, Wein und antialkoholische Getränke. Außerdem werden leckere Leberkäswecken, Knabberzeugs und Süßigkeiten gereicht. Es ist wie bei anderen Public Viewings, wo gemeinsam zugeschaut wird, wenn „Die Mannschaft“, wie jetzt bei der Fußball-EM in Frankreich, auf Titeljagd geht – und doch ist es irgendwie anders.

 

Denn die Leinwand steht ziemlich genau dort , wo Pfarrerin Helga Striebel sonst ihre Predigten hält. Und auf den Bänken der St.-Vitus Kirche, an der Stelle, an der für gewöhnlich die Gesangbücher ihren Platz haben, stehen Flaschen und liegen Chipstüten. Die evangelische Kirchengemeinde in Geislingen-Türkheim im Kreis Göppingen öffnet ihr Gotteshaus erstmals für König Fußball – und es ist auch für die, die zur Übertragung der EM-Partie gegen die Ukraine gekommen sind, kein ganz alltäglicher Abend.

Auch für den Organisator war der sakrale Raum zunächst tabu

Ute Nothdurft etwa räumt ein, „dass ich am Anfang schon ein komisches Gefühl hatte, in einer Kirche mit unseren Jungs mitzufiebern“. Aber irgendwann habe sie dann das Spiel geschaut und das Drumherum als ganz normal empfunden, ergänzt sie. Julian und Jannik sehen das ähnlich. Der Zwölf- und der Zehnjährige finden die Sache „total witzig“ und schwenken laut jubelnd ihre Fähnchen als Bastian Schweinsteiger den 2:0-Sieg eintütet. Katja Ziegler spricht von einer „geilen Idee“ und hat kein Problem damit hier Fußball zu schauen.

Angestoßen wurde das Kirchen-Viewing von Sven Grewis, der unumwunden einräumt, „dass der Vorschlag kontroverse Diskussionen ausgelöst hat“. Das Mitglied des Kirchengemeinderats hat, als er noch im benachbarten Amstetten in Amt und Würden war, bei derartigen Großereignissen bereits Public Viewings organisiert. „Allerdings im Gemeindesaal und nicht in der Kirche, weil für mich der sakrale Raum für so etwas tabu war“, wie er betont. Aber dann habe bei ihm, auch angesichts der Debatte, dass sich die Kirchen öffnen und Begegnung ermöglichen müssten, eine Sinneswandel eingesetzt, fügt Grewis hinzu.

Sven Grewis: Noch nie so viele Gespräche über Kirche und Glauben geführt

In der Gemeinde traf der Vorstoß nicht nur auf Gegenliebe. Nach vielen Gesprächen fiel der Entschluss der Kirchenräte und der Pfarrerin aber einstimmig aus. Getreu dem Motto: „Das ist mutig, aber wir wagen es.“ Auch sonst habe er auf die ungewöhnliche Aktion, die sich an die gesamte Dorfgemeinschaft richte, fast nur positive Rückmeldungen erhalten, sagt Grewis. Und noch etwas sei ihm aufgefallen: „Ich habe noch nie so viele Gespräche über Kirche und Glauben geführt, wie in den vergangenen Wochen.“ Weitere Gelegenheiten dazu gibt es in Türkheim auch künftig. Denn in der St.-Vitus-Kirche geht das Public Viewing bis zum Ende der EM bei allen Spielen mit deutscher Beteiligung weiter.

Kirchliche Offenheit gegenüber Fußballfans zeigt sich allerdings nicht nur in Geislingen-Türkheim, sondern auch in Göppingen. Die evangelischen Methodisten bieten im Gemeindesaal ihrer Friedenskirche ebenfalls ein gemeinsames Mitfiebern an. „Wir hätten das auch gerne in unserer Kirche selbst gemacht, was aber aus technischen Gründen unmöglich war“, erklärt der Pastor Hans Martin Hoyer. Die Lautsprecher hätten einen unglaublichen Hall erzeugt. „Da kannst du unmöglich ein Fußballspiel übertragen“, sagt Hoyer.

Auch die Kunst geht eine Symbiose mit dem Fußball ein

Die Göppinger Kunsthalle ist für interdisziplinäre Projekte immer zu haben: Literatur, Film, Musik – alles schon da gewesen. Nun gibt es erstmals „Fußball und Kunst“. Bevor die Schau „Michael Kvium. Die Sieben Todsünden“ am Sonntag endet, findet an diesem Donnerstag um 19.30 Uhr noch ein Ausstellungsgespräch zwischen dem Theologen August Heuser und dem Kunsthallenleiter Werner Meyer über Kviums Interpretation der sieben Todsünden im Spiegel katholischer Moraltheologie statt. Danach können die Fußallfans unter den Kunstinteressierten ganz einfach sitzen bleiben. In der Kunsthalle wird das EM-Spiel zwischen Deutschland und Polen gezeigt.


Dass in der Göppinger EWS-Arena ein Public Viewing stattfindet, ist indes weithin bekannt. Allerdings wird das Equipment aufgerüstet. So gibt es für Besucher eine zusätzliche riesengroße LED-Leinwand.