Eine Bande von mutmaßlichen Menschenhändlern schweigt vor dem Stuttgarter Landgericht. Sie soll Rumäninnen zur Prostitution gezwungen haben.

Stuttgart - Die jungen Frauen kamen mit nichts außer der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland; als sie wieder gingen, hatten sie auch die verloren. Mit süßen Versprechungen, gut bezahlte Jobs als Haushaltshilfe, Kellnerin oder Tänzerin zu bekommen, wurden sie in Rumänien von Schulfreunden, Bekannten, einmal sogar von der eigenen Schwester angesprochen und mit gefälschten Papieren meist nach Heilbronn geschleust. Stattdessen erwartete sie Prostitution im Akkord: „Airportmuschies“, „FKK Oase“ oder „Pussy-Club“ hießen die Flatrate-Bordelle in Fellbach, Berlin und anderen Städten, in denen sie zum Anschaffen gezwungen wurden: bis zu 60 Männer bedienten die Frauen an Arbeitstagen mit 14 Stunden.

 

Das ist die Sicht der Staatsanwaltschaft, die neun Männern und einer Frau mit rumänischer Herkunft Menschenhandel und Zuhälterei vorwirft. Nachdem die Handlanger bereits im Sommer 2010 verurteilt worden sind, müssen sich die mutmaßlichen Drahtzieher der Zuhälterbande seit Freitag vor der 10. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart verantworten. Getagt wird im größten Sitzungssaal, den das Gericht zu bieten hat: in Stammheim, direkt neben der Justizvollzugsanstalt.

Die Anklageschrift ist 70 Seiten lang

Beäugt von zahlreichen Justizbeamten, drei Nebenklagevertretern, den Staatsanwälten und der Richterbank, sitzen die Angeklagten bei künstlichem Licht zwischen ihren 20 Verteidigern – und schweigen. „Mein Mandant wird sich zur Sache nicht äußern“, verkündet ein Rechtsanwalt nach dem anderen über das Mikrofon, nachdem die 70 Seiten lange Anklageschrift verlesen ist. Einige Angeklagte zumindest wollen am kommenden Dienstag Angaben zu ihrer Person machen; so auch ein 34-jähriger und ein 36-jähriger Rumäne, die in dem Verfahren als die Hauptakteure gelten. Die beiden sollen im Hintergrund die Fäden gezogen haben – der eine von Madrid aus, wohin er sich abgesetzt hatte, der andere pikanterweise während er in Haft saß, damals verurteilt wegen Menschenhandels.

Weil sie die illegal aus Rumänien eingereisten Frauen nicht als Beschäftigte angemeldet haben, sind die zwei zusätzlich wegen Sozialbetrugs angeklagt. 2,7 Millionen Euro sollen sie in sechs Flatrate-Bordellen, die sie im ganzen Bundesgebiet betrieben haben, veruntreut haben. Allein während der zwei Monate, die der Pussy-Club in Fellbach im Jahr 2009 geöffnet war, sollen mehr als 340000 Euro Lohnnebenkosten nicht gezahlt worden sein.

Die Frauen sagen als Zeuginnen aus

Vorerst 24 Verhandlungstage bis Ende Juni hat die Kammer anberaumt, um die Anklage Punkt für Punkt durchzuarbeiten. Auch wenn am ersten Verhandlungstag vieles noch im Dunkeln bleibt: einen Eindruck davon, unter welchen Bedingungen die teilweise minderjährigen Frauen gelebt und gearbeitet haben müssen, bekommen die Zuschauer schon. Von Gewaltdrohungen ist die Rede, wenn die Frauen sich weigerten, anzuschaffen. Selbst bei Unterleibsschmerzen hätten sie keinen Arzt aufsuchen dürfen, mussten auch während ihrer Menstruation mit den Freiern verkehren. Ein Mädchen, das im Pussy-Club in Heidelberg 50 bis 60 Männer am Tag bedienen musste, brach mehrmals vor Erschöpfung zusammen. Eine Rumänin soll vor dem Pussy-Club in Berlin zusammengeschlagen worden sein, bevor der Bordellbetreiber der Bande 3000 Euro für sie zahlte.

Von den Frauen wurde erwartet, dass sie ihrem Zuhälter jede Woche 1000 Euro bringen. War ein Freier unzufrieden, wurde ein Bußgeld von 500 Euro über sie verhängt. Sprachen sie die Männer nicht „engagiert“ genug an, kostete das 50 Euro. „Sicher wussten manche der Frauen, dass sie in Deutschland als Prostituierte arbeiten werden. Aber die meisten von ihnen hatten keine Vorstellung, was das bedeuten kann“, sagt Michaela Spandau. Die Rechtsanwältin vertritt eine 29-jährige Rumänin als Nebenklägerin, die ebenfalls als Zeugin aussagen wird – eine für die Frauen sehr belastende Situation. Die erste der drei Nebenklägerinnen wird am 29. März vor dem Landgericht befragt.