Die Türkische Armee verkündet die Machtübernahme. Premier Yildirim spricht von einem „illegalen Putsch“. Es herrscht Chaos.

Istanbul - Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan schien noch am Freitag allmächtig. Jetzt muss er um seine Macht fürchten: Die Armee revoltiert. Seit dem späten Freitagabend sehen die türkischen Fernsehzuschauer im Staatskanal TRT nur noch den Wetterbericht – zuvor hatten Soldaten die Zentrale des Senders besetzt.

 

„Es ist kein Coup, es ist lediglich eine Revolte“, versuchte Ministerpräsident Binali Yildirim in einem Telefonat mit dem Nachrichtensender NTV abzuwiegeln. Die Verantwortlichen würden „auf das Schärfste bestraft“.  Yildirim: „Unsere Sicherheitskräfte werden Gewalt einsetzen“.

Erdogan gegen das Militär hat eine lange Geschichte

Erdogan gegen das Militär, die Generäle gegen Erdogan: Diese Konfrontation bestimmte die türkische Innenpolitik über lange Zeit. In der 1990er Jahren schickte ein Gericht auf Betreiben der Militärs, die damals das Sagen hatten, Erdogan wegen „islamistischer Hetze“ ins Gefängnis. Trotzdem gewann seine islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) 2002 die Wahl – und regiert das Land seither unangefochten.

Doch das Militär, eingeschworen auf die strikte Trennung von Staat und Religion, begehrte weiter auf gegen den verkappten Islamisten. Erst Mitte der 2000er Jahre schien Erdogan die Überhand gewonnen zu haben: Die Generäle galten als entmachtet, der früher von den Militärs dominierte Nationale Sicherheitsrat, noch in den 1990er Jahren die eigentliche Regierung des Landes, hatte nur noch beratende Funktion. Immer mehr Kompetenzen zog Erdogan seit seiner Wahl zum Staatspräsidenten im August 2014 an sich. Doch nun hat er offenbar den Bogen überspannt.

Es wäre der vierte Putsch seit 1960

Mit seinem grenzenlosen Machtstreben, der immer stärker forcierten Islamisierung des Staates und seiner konfrontationsgeladenen Außenpolitik gegenüber dem Westen forderte Erdogan das Militär heraus – das nach eigenen Angaben am Freitagabend die Macht in der Türkei übernahm. Es wäre der vierte Putsch seit 1960. Zuletzt erzwang das Militär 1997 den Rücktritt des damaligen islamistischen Premierministers Necmettin Erbakan, des politischen Ziehvaters von Erdogan.

Das Militär habe die Macht übernommen, teile der türkische Generalstab am Freitagabend mit. „Teile des Militärs“ hätten am Freitagabend einen Staatsstreich versucht, hatte Ministerpräsident Binali Yildirim kurz zuvor im Nachrichtensender NTV. Die Sicherheitskräfte täten alles, um die Situation zu entschärfen. Der Premier rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. Die Lage war zunächst völlig unübersichtlich. In der türkischen Hauptstadt Ankara seien Schüsse zu hören gewesen, berichteten Reporter. Kampfjets und Militärhubschrauber seien über Ankara in der Luft. Krankenwagen fuhren vor dem Hauptquartier der Streitkräfte in Ankara auf.

Medien berichteten von einer Explosion im Stadtviertel Gölbasi. Alle Polizeibeamte in Ankara seien zum Dienst alarmiert worden. In Istanbul habe die paramilitärische Gendarmerie die beiden Brücken über den Bosporus gesperrt, berichtete die Internetseite der Zeitung „Hürriyet“. Im Militärhauptquartier in Ankara seien Geiseln genommen worden, hieß es. Präsident Erdogan sei in Sicherheit, meldete der Sender CNN Türk. Aber im allgemeinen Chaos war auf solche Meldungen zunächst wenig Verlass.