An der Universität Stuttgart arbeitet der erste Quantencomputer der Stadt. Er verfügt zwar nur über drei Bits, doch seine Konstrukteure sehen darin großes Potenzial. Man braucht keine Mega- oder Gigabytes, um Codes zu knacken oder Datenbanken zu scannen.

Stuttgart - Durch seinen Quantencomputer kann Gerald Waldherr noch hindurch gehen: Auf der einen Seite zwei Elektronikschränke mit der Steuerung, auf der anderen der optische Tisch mit Lasern und dem eigentlichen Quantenbauteil, das jetzt rechnen kann. Dazwischen gibt ein mannshoher Durchgang den Weg zur Labortür frei. Am 3. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart gibt es aber auch einen Koffer, in den ein ähnliches Experiment in miniaturisiertem Format zu Demozwecken eingebaut ist. Deshalb spricht der Institutschef Jörg Wrachtrup schon von einem Quantencomputer für den Schreibtisch, der sicher einmal auf den Markt kommen werde.

 

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg – so war zumindest die Ansicht unter Physikern. „Vielleicht haben wir so einen Quantencomputer aber schneller als wir denken“, sagt Wrachtrup. Einer der ersten Quantencomputer steht jetzt an der Universität Stuttgart, aufgebaut von Wrachtrups Mitarbeiter Gerald Waldherr, der darüber seine Doktorarbeit schreibt.

Ein klassischer 64-Bit-Prozessor kann während eines Prozessortakts einen von 20 Trillionen möglichen Zuständen einnehmen, etwa um eine Rechenoperation durchzuführen. Der Quantencomputer könnte hingegen alle Zustände gleichzeitig einnehmen – solche seltsamen Phänomene sind in der Welt der Quanten normal. Das macht den Computer so interessant, etwa für die ultraschnelle Suche durch Datenbanken (Google lässt grüßen) oder das Brechen von Codes (spannend für die NSA). Das Verblüffende daran ist, dass es die Algorithmen für die Datenbanksuche und das Codeknacken per Quantencomputer längst gibt. Jetzt brauchen Google, NSA & Co. nur noch die passende Hardware.

Wie viele Bits würde die NSA für ihre Arbeit brauchen?

Doch wie viele Quantenbits, kurz Qubits, muss ein Computer aufweisen, um effizient einen Code zu brechen? Da ist selbst der 29-jährige Experimentalphysiker Waldherr überfragt. Er geht ein paar Bürozimmer weiter zum chinesischen Kollegen und theoretischen Physiker Ya Wang. Der überfliegt kurz am PC eine Publikation, kritzelt ein paar Formeln an die Tafel und kommt nach kurzer Diskussion mit Gerald Waldherr und seinem Kollegen Sebastian Zaiser zum Schluss: „Um eine aktuelle Verschlüsselung zu brechen, bräuchte man über 4000 Qubits.“ Davon sind Waldherr und Zaiser noch weit entfernt. Ihr Quantenrechner hat gerade einmal drei, und der Weltrekord steht seit Jahren immer noch bei den 14 Qubits von Rainer Blatt von der Universität Innsbruck.

Doch Wrachtrup und Waldherr geht es nicht um Menge, sondern um Qualität. „Wir haben die universelle Kontrolle über diesen kleinen Quantencomputer“, erklärt Waldherr. Will heißen: die Physiker können die drei Qubits nach Gusto manipulieren. „Wir können alles machen“, sagt Zaiser. In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature“ beschreibt das Physikerteam einen Mechanismus zur Fehlerkorrektur eines Quantencomputers – ein Meilenstein, „denn ohne Fehlerkorrekturmechanismus kein Quantencomputer“, wie es Waldherrs Kollege Philipp Neumann lax formuliert.

Hinter der Fehlerkorrektur steckt das Phänomen, dass die Zustände der Qubits über die Zeit instabil sind und immer wieder aufgefrischt und erneuert werden müssen. „Das ist uns gelungen“, erklärt Waldherr. Was die Arbeit auszeichnet, ist, wie vom Magazin „Nature“ wohlwollend vermerkt, dass diese universelle Methode der Fehlerkorrektur nicht nur für Waldherrs Computertyp funktioniert, sondern auch bei anderen Ansätzen. Bei den Aspiranten für den Quantencomputer setzen Physiker nämlich auf verschiedene Materialsysteme, etwa supraleitende Schaltungen oder im Hochvakuum isolierte Ionen.

Gesucht werden kleine Fehler im Diamanten

Wrachtrups Arbeitsgruppe arbeitet mit einem wenige Millimeter großen Diamanten, also einem sehr stabilen Netzwerk von Kohlenstoffatomen. Darin verknüpfen die Forscher die sogenannten Spins von Elektronen und Atomkernen zu Qubits. Ähnlich wie die Drehbewegung der Erde ein globales Magnetfeld hervorruft, rufen auch die Eigendrehungen kleinster Teilchen magnetische Phänomene hervor. Die Drehungen werden Spins genannt, und mit den magnetischen Phänomenen lässt sich rechnen: Die Forscher verknüpfen drei Spins von Atomkernen und einen Elektronenspin zu einem ganzheitlichen Quantenelement – wobei die Atomspins für drei Qubits stehen, der Elektronenspin als Kontrolleur die Arbeit der Qubits überwacht.

Um ihr Quantenbauteil herzustellen, beschießen die Forscher zunächst ein zwei Millimeter großes Diamantplättchen mit Stickstoffatomen, die dann hier und da ein Kohlenstoffatom herausschlagen. Häufig bilden sich im Kohlenstoffgitter des Diamanten dann Fehlstellen aus leerem Gitterplatz und einem Stickstoffatom. Dieses Loch bindet ein Elektron. Der Stickstoffkern verfügt – wie das Elektron auch – über einen Spin. Das sind schonmal zwei der vier benötigten Spins. Dann suchen die Forscher um die Fehlstelle herum nach weiteren Spins: Eine selten vorkommende Kohlenstoffvariante namens C-13 trägt – im Unterschied zu der vorherrschenden Kohlenstoffvariante C-12 – auch einen Spin.

Mit diesem kleinen Quantencomputer haben die Forscher experimentiert. „Wir haben künstlich Fehler in das System eingefügt und anschließend korrigiert“, erklärt Waldherr. Ein Vorteil des Diamanten ist, dass das Verfahren bei Raumtemperatur funktioniert und keine Kühlung mit flüssigen Gasen benötigt. Ob sich aber die Zahl der Qubits erhöhen lässt, scheint den Forschern indes völlig offen. Eine Verzehnfachung wäre ein ordentlicher Schritt: „Mit zehn Defektzentren und jeweils drei Kernspins könnten wir einen klassischen Computer schon in manchen Algorithmen schlagen“, schätzt Arbeitsgruppenleiter Neumann. Dann könnten Ingenieure die Serienfertigung übernehmen.