Der Vorstandschef baut Siemens grundlegend um, er verordnet sich und den Beschäftigten damit eine Herkulesaufgabe. Es wird neu strukturiert, zugekauft und abgegeben. Die IG Metall sieht die Pläne kritisch.

Berlin - Das Folgende, warnt Siemens-Chef Joe Kaeser die Zuhörer vor, ist eigentlich Stoff für drei bis vier Pressekonferenzen. Gut drei Stunden später wissen dann alle in der Siemens-Mosaikhalle am Berliner Rohrdamm, dass der 56-Jährige nicht übertrieben hat. Der Münchner Traditionskonzern baut die Organisation umfassend um und Stellen ab. Kaeser streicht eine komplette Managementebene, kauft Unternehmen zu, geht neue Partnerschaften ein und bereitet einen Börsengang vor. Eingerahmt wird das Ganze durch eine neue Firmenkultur, die Kaeser eine „des verpflichtenden Eigentums“ nennt. Siemens soll wieder wachsen und profitabler werden. Für dieses Ziel namens „Vision 2020“ bleibt so gut wie kein Stein auf dem anderen.

 

Am augenfälligsten ist die neue Struktur. Kaesers Vorgänger Peter Löscher hatte Siemens in vier große Sektoren gegliedert unterhalb derer das operative Geschäft in 16 Bereichen angesiedelt war. Die Ebene der Sektoren wird abgeschafft. Als Einheit erhalten bleibt nur die Medizintechnik. Aus 16 werden zudem neun Bereiche teils völlig neuen Zuschnitts, um gezielt auf Wachstumsfelder setzen zu können. Der größte Bereich, das Geschäft mit konventionellen Kraftwerken, wird künftig von den USA aus geführt, von der zu Siemens gewechselten Shell-Managerin Lisa Davis. Der bislang mächtige Chef des Energiesektors, Michael Süß, verlässt den Konzern „im gegenseitigen Einvernehmen“.

Die neue Struktur diene dazu, Ziele klar an Verantwortliche adressieren zu können, um gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen, umschreibt Kaeser die neue Härte bei Siemens. Den Abgang von Süß darf man entsprechend sehen. Siemens habe im Energiebereich als tragender Säule des Gesamtkonzerns die Chance verpasst, rechtzeitig in den boomenden US-Markt einzusteigen, und weise zudem eine Produktlücke bei kleinen Gasturbinen auf. Dabei könnten diese die Energiewende weltweit unterstützen, erklärte Kaeser. Deshalb hat Kaeser die Sparte Gasturbinen des britischen Rolls-Royce-Konzerns für insgesamt 1,2 Milliarden Euro übernommen. Weitere Zukäufe seien möglich, sagte der seit neun Monaten amtierende Siemens-Lenker.

Die Sparte Hörgeräte geht an die Börse

Damit meint er nicht nur den französischen Alstom-Konzern, um den sich Siemens ernsthaft bemühe, wie Kaeser sagte. Ende Mai werde man über ein Gegenangebot zur Offerte des US-Erzrivalen General Electric (GE) entscheiden. „Wir werden nur dann handeln, wenn wir bekommen, was wir wollen“, betonte Kaeser. Auf der anderen Seite trennen sich die Münchner erneut von Geschäften. An die Börse gebracht wird die Sparte Hörgeräte mit 4000 Beschäftigten. Zudem hat Kaeser im Haus zehn Sanierungsfälle identifiziert, die entweder wieder profitabel gemacht oder abgegeben werden sollen. Ein aktuelles Beispiel ist das Geschäft mit Anlagen für die Metallindustrie, das Siemens mehrheitlich an die japanische Mitsubishi Heavy Industries abgibt. Insgesamt gebe es bei Siemens Geschäfte im Umfang von einem Sechstel des Konzernumsatzes, die seit drei Jahren keinen Gewinnbeitrag liefern, verdeutlichte Kaeser den Handlungsbedarf. Vor einer ungewissen Zukunft steht auch der große und hochprofitable Bereich Medizintechnik. Dieses Geschäft wird als einziges nicht in neue Divisionen zerlegt und als Unternehmen im Unternehmen aufgestellt, um es für Eventualitäten verfügbar zu halten, auf die Kaeser nicht näher einging. Mehrheitlich soll das Geschäft im Haus bleiben.

Was die neue, ab Oktober geltende Konzernstruktur für die 370 000 Arbeitsplätze bei Siemens bedeutet, ließ Kaeser offen. In Baden-Württemberg beschäftigt Siemens an acht Standorten gut 10 000 Mitarbeiter. Neben Vertriebsniederlassungen in Stuttgart, Mannheim, Ulm, Konstanz, Karlsruhe, Heilbronn und Freiburg hat Siemens im Südwesten einen kleineren Servicestandort in Heidelberg, der zur Medizintechniksparte gehört. Die Hörgerätesparte hat in Baden-Württemberg keine Mitarbeiter.

Auf Spekulationen über einen insgesamt vierstelligen Stellenabbau im Konzern ging Kaeser nicht ein. Die IG Metall begegnet den Umbauplänen mit Vorsicht. „Siemens hat sich den Teller – wieder einmal – ordentlich voll geladen“, urteilte die Gewerkschaft. Bayerns Bezirksleiter Jürgen Wechsler mahnte: „Die Neuorganisation darf auf keinen Fall als Deckmantel für ein Programm zur Kostensenkung oder zum Stellenabbau missbraucht werden.“ Er pochte auf Standort- und Beschäftigungsgarantien sowie auf den Verzicht betriebsbedingter Kündigungen.

Klar ist, dass vom Umbau vor allem Verwaltungsstellen betroffen sind. Bis 2016 sollen so die Kosten um eine Milliarde Euro gedrückt werden. Andererseits will Kaeser das Personal unterhalb der Managementebene mit einer Ausweitung der erfolgsabhängigen Vergütung in Form von Mitarbeiteraktien ködern. Das Volumen dafür wird auf bis zu 400 Millionen Euro verdreifacht. Das Ziel sei, die Zahl der Mitarbeiteraktionäre von 140 000 auf gut 200 000 und damit auf über die Hälfte des Personals zu erhöhen. Nicht die Strategie mache ein Unternehmen aus, sondern dessen Kultur, begründete Kaeser diesen Schritt und verdammte sich selbst zum Erfolg. „Ich persönlich stehe dafür gerade, dass die nächste Generation ein besseres Unternehmen weiterführen kann“, sagte der Manager.