Das Feuer im Sperrgebiet um das havarierte Kernkraftwerk Tschernobyl ist unter Kontrolle. Doch die Gefahr durch radioaktive Partikel wächst womöglich.

Kiew - Der Rauch war bereits in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch in der Kiewer Innenstadt zu riechen. Ungünstige Winde trieben die Schwaden aus dem rund 200 Kilometer entfernten Tschernobyl bis in die ukrainische Hauptstadt. Der Direktor am Kiewer Institut für Ökologie und Kultur, Wladimir Boreyko, warnte in einem Gespräch mit der Tageszeitung „Segodna“: „In den Wäldern finden sich massenhaft Strahlenpartikel, sie können durch die Rauchwolken hochgewirbelt und in besiedelte Gebiete getragen werden. Außerdem verbrennt dort radioaktiv verseuchtes Holz, das ist ein Giftcocktail“, so der Experte.

 

In Kiew beteuerten die Behörden am Mittwoch, alle Strahlungsmessungen hätten „Normalwerte“ ergeben. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hingegen warnt vor einer Verharmlosung. Das Feuer war am Montagabend ausgebrochen. Der jetzt brennende Wald gehört zu einem mehrere hundert Hektar großen Sperrgebiet, der sogenannten Todeszone. Das ist ein unbewohntes Waldgebiet, das den am 26. April 1986 havarierten Reaktor Nummer Vier des Atomkraftwerks von Tschernobyl umgibt.

Das Land ist für solche Katastrophen nicht gerüstet

Innenminister Arsen Awakow nennt als Grund für den Brand „sorg- oder achtlosen Umgang mit Feuer“. Am frühen Dienstagabend setzte sich Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk in einen Hubschrauber des Katastophenschutzes und ließ sich über die Brandstelle fliegen. Seine Bilanz fiel verheerend aus: „Unser Land ist für solche Unfälle noch immer nicht ausgerüstet, es fehlt Material, es fehlen Einsatzkräfte, es fehlt ein Katastrophenplan“, sagte der sichtlich verärgerte Jazenjuk im Fernsehen. Der Chef des Zivilschutzes, Sorjan Schkirjak, ein enger politischer Gefolgsmann von Innenminister Awakow, beschwichtigte: „Wir haben alles unter Kontrolle, Strahlengefahr besteht nicht, die Menschen im Brandgebiet werden planmäßig evakuiert.“

Tatsächlich zeigte das Fernsehen Bilder von Menschen, die am Rand der gesperrten Todeszone in kleinen Dörfern leben. Mehr als 200 Feuerwehrleute seien im Einsatz, dazu kommen 32 Einheiten des Katastrophenschutzes. Die Kräfte am Boden werden mit einem Helikopter Mi-8 und zwei Lösch-Flugzeugen vom Typ Antonow AN-32 aus der Luft unterstützt.

Eine Geberkonferenz soll Geld für mehr Schutz auftreiben

Das Feuer brach nur wenige Tage vor einer Geldgeberkonferenz für die Fertigstellung von Schutzmaßnahmen am Atomkraftwerk aus. Am Mittwoch trafen sich in London internationale Vertreter, um die fehlenden 650 bis 700 Millionen Euro zusammenzubekommen. Das Geld wird für die Fertigstellung eines seit 1992 im Bau befindlichen Sarkophags benötigt. Die Schutzhülle aus rostfreiem Edelstahl soll über die Ruine des Reaktors Nummer Vier gebaut werden. Die alte Schutzhülle ist brüchig geworden, sie war kurz nach dem Super-GAU von Soldaten der Sowjetarmee im Mai und Juni 1986 eilig erbaut worden und droht nun einzustürzen.

Seit Jahren gibt es Gerangel um die Kostenübernahme. Während 42 Länder – unter anderem Deutschland, Frankreich, die USA und Japan – den Löwenanteil an dem insgesamt 2,15 Milliarden Euro teuren Projekt tragen, hat sich Russland bisher mit keinem Cent am Bau der rund 100 Meter hohen Schutzhülle beteiligt. Der Bau soll bis Ende 2017 fertiggestellt sein. Nach der Errichtung der Schutzhülle beginnt eine weitere kostenintensive Phase: der Abtransport der radioaktiven Trümmer und, soweit möglich, der Rückbau des verunglückten Reaktors. Die Hauptlast des zu Sowjetzeiten gebauten Kraftwerks tragen die Ukraine und Weißrussland, dort hat es die meisten Opfer gegeben, die teilweise bis heute an den Folgen des Super-GAU leiden.