Der Stuttgarter Gemeinderat hat den Radverkehrsetat auf jährlich 1,7 Millionen Euro beschränkt. Damit lassen sich nicht alle Lücken im Radwegenetz schließen. Der Fahrradclub ADFC kennt viele Problempunkte. Mittlerweile beschweren sich Autofahrer über die Vorzugsbehandlung der Radler.

Stuttgart - Stuttgarts erste durchgehende Hauptradroute nähert sich dem Endausbau: der Tallängsweg von Rohr bis Fellbach. Es ist eine von zwölf Hauptrouten, die im Radverkehrskonzept vorgesehen sind. 1,5 Millionen Euro lässt sich die Stadt die Maßnahmen dafür kosten. OB Fritz Kuhn hat den Ausbau, wie alle Verkehrsfragen, zur Chefsache erklärt. Er will Anreize schaffen, den motorisierten Individualverkehr zu verringern – auch weil Stuttgart bundesweit die Stadt mit der höchsten Feinstaubbelastung ist. Doch dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) Stuttgart geht das zu langsam: „Das Problem ist, dass zu wenig Personal bei der Stadt zuständig ist“, sagt dessen Vorsitzender Frank Zühlke. „Insgesamt“, so räumt der Vereinschef aber ein, „hat sich in der Stadt einiges getan“.

 

Vom Ziel, den Anteil des Radverkehrs auf 20 Prozent zu erhöhen, sei die Stadt mit ihren aktuell sechs bis sieben Prozent trotzdem noch deutlich entfernt, konstatiert auch Claus Köhnlein. Er ist Stuttgarts Fahrradbeauftragter und kümmert sich seit 20 Jahren beim Amt für Stadtplanung und -erneuerung um das Thema Radfahren. Insgesamt widmet die Stadt dem Thema 2,2 Personalstellen.

„Man braucht erst mal eine gescheite Infrastruktur und durchgehende Radwege“, sagt Köhnlein. Doch die Dauerzählstelle am Leuze zeige, dass in Stuttgart durchaus geradelt werde: eine Million Radfahrer pro Jahr passieren diese Stelle. Eine weitere Zählstelle am neuen Radstreifen entlang der Böblinger Straße sei kürzlich eingerichtet worden.

Weniger Geld im Radverkehrsetat als geplant

Im Jahr 2010 ist ein Radverkehrskonzept für Stuttgart entwickelt worden. Doch die Umsetzung kostet Geld. Während der Ausbau des Radwegenetzes der Stadt im Jahr 2005 nur 385 000 Euro im Jahr wert gewesen sei, habe es im Doppelhaushalt 2012/13 „einen richtig großen Sprung“ gemacht, berichtet Köhnlein: auf 2,4 Millionen Euro im Jahr. Aktuell hat der Gemeinderat für dieses und für das nächste Jahr jedoch nur noch je 1,7 Millionen Euro genehmigt. Das widerspricht allerdings der eigenen Zielsetzung, den Radverkehrsetat zu erhöhen.

Diese Ziele lassen sich in dem Zehn-Punkte-Katalog auf der städtischen Internetseite nachlesen. Weitere Punkte darin sind, Einbahnstraßen für Radler in beiden Richtungen zu öffnen, neue Radwege zu bauen, Gefahrenstellen zu beseitigen, sowie Wegweisschilder und Fahrrad-Abstellanlagen zu errichten. Dies geschieht auch, nach und nach. Und es geschieht offenbar so viel, dass Köhnlein inzwischen mehr Anrufe von Autofahrern erhält als von Radlern. Vorwurf der Autofahrer: „Ihr macht zu viel für die Radler.“

Autofahrer beschweren sich

Tatsächlich musste der Autoverkehr an etlichen Stellen zu Gunsten der Radler Fahrbahnfläche abgeben – etwa für separate Radstreifen auf der Kaltentaler Abfahrt oder der ehemaligen B 14 zwischen Cannstatt und Fellbach, was einen „riesigen Aufschrei der Autofahrer“ zur Folge gehabt habe. Oder für einen gestrichelten Schutzstreifen, der bei Bedarf von Autos mitbenutzt werden darf und auch wird, wie etwa an der Robert-Koch-Straße in Vaihingen und an vielen anderen Stellen in der Stadt. „Wir versuchen, die Radfahrer auf die Fahrbahn zu kriegen“, sagt Köhnlein. Zugleich sei „eines der obersten Ziele, Radfahrer sicher zu führen“. Dies sieht mitunter für Ottonormalverbraucher gewöhnungsbedürftig aus – beispielsweise, wenn wie vor der Schwabengalerie in Vaihingen, die Geradeausspur für Radler über die Rechtsabbiegespur für die Autofahrer gezogen wird. Dazu sagt Köhnlein: „Jetzt muss der Autofahrer die Radspur kreuzen – das ist sicherer als umgekehrt.“ Der Fahrradbeauftragte erklärt das so: „Dort, wo Radfahrer im Blickfeld der Autofahrer auftauchen, passieren weniger Unfälle.“ Trotz einer Zunahme der Radfahrer sei die Zahl der Unfälle, an denen Radler beteiligt seien, gleich geblieben. Sie liege bei zwei Prozent.

Stuttgarter Radler brauchen gute Ortskenntnisse

„Stuttgart scheint ziemlich sicher zu sein für Radfahrer“, folgert Köhnlein daraus. Allerdings werden den Radlern in Stuttgart gute Ortskenntnisse abverlangt. Denn oft fehle noch die Beschilderung, räumt Köhnlein ein. „Aber da sind wir dran“, verspricht er. Im Vorteil ist, wer ein Smartphone hat. Seit 2007 gebe es den Radroutenplaner im Internet auch als App. Dies erlaubt dem Nutzer, als Sucheinstellung auch topografische Kriterien sowie die Art der Route und weitere individuelle Voraussetzungen einzugeben. 180 Kilometer messe das Stuttgarter Radwegenetz jetzt – es ist damit dreimal so groß wie noch 1990. In diesem und nächsten Jahr sei unter anderem der beidseitige Ausbau des Neckarradwegs geplant. Als kostengünstig, aber auch als sicher habe sich erwiesen, Einbahnstraßen für Radler in beiden Richtungen freizugeben – zwei Drittel aller Einbahnstraßen seien inzwischen geöffnet.

Mit einem Sonderprogramm wurden zudem an 30 weiterführenden Schulen die Fahrradständer verbessert und die Wege sicherer gemacht. Dies soll Schüler und Lehrer dazu motivieren, mit dem Drahtesel zu fahren. Auch im öffentlichen Raum habe man die Infrastruktur verbessert, mittlerweile gebe es rund 6000 Fahrradparkplätze mit Anlehnbügeln in der Innenstadt.

So können die Räder gut abgeschlossen werden. Vier Fahrradparkhäuser mit Fahrrad-Service-Stationen der Neuen Arbeit ergänzten das Angebot. Auch das Call-a-bike-System mit 400 Fahrrädern und 100 Pedelecs zum Ausleihen komme gut an, berichtet Claus Köhnlein. „Somit fahren mehr Leute Fahrrad.“