Mehr Menschen sollen mit dem Rad fahren und alle Radfahrer längere Wege zurücklegen. Das ist das Ziel des 108 Seiten starken Dossiers des Verkehrsministeriums, über das Verbände wie Akteure nun diskutieren wollen.

Stuttgart - Es ist ein großes Ziel: „Baden-Württemberg soll zur Pionierregion für nachhaltige Mobilität entwickelt werden. Dem Radverkehr als integraler Bestandteil und zentrale Säule des modernen Verkehrssystems kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.“ Diese Sätze stehen in einem 108 Seiten starken Dossier mit dem Titel „Radstrategie Baden-Württemberg“, das in diesen Tagen Verbände und Institutionen erreicht, die mit dem Radverkehr zu tun haben. Absender ist das Stuttgarter Verkehrsministerium. In den nächsten Wochen sollen die Vorschläge diskutiert werden, Ende des Jahres soll das Landeskabinett den überarbeiteten Entwurf beschließen, sagt ein Ministeriumssprecher.

 

Zwischen Sommer 2013 und Herbst 2014 haben 30 Experten die Radstrategie erstellt und dabei konkrete Ziele formuliert. Gegenüber der Ausgangsbasis aus dem Jahr 2008 sollen bis 2020 doppelt so viele Wege mit dem Rad zurückgelegt werden. Anders ausgedrückt: Wurden damals acht Prozent aller Fahrten per Rad zurückgelegt, sollen es 2020 rund 16 Prozent sein, bis zum Jahr 2030 ist eine weitere Steigerung auf 20 Prozent vorgesehen. Damit den Worten auch Taten folgen, werden in dem Papier 60 Ziele genannt und mehr als 200 Maßnahmen, die bis 2025 umgesetzt werden sollen. Sie sind unterteilt in Maßnahmen, die kurz-, mittel- oder langfristig umgesetzt werden können. Stets sollen die Fortschritte überwacht werden.

Landesweit ein hoher Nachholbedarf

Zunächst galt es, die Ausgangslage zu erfassen. Dass Zahlen von 2008 als Basis herangezogen werden müssen, hat mit belastbaren statistischen Erhebungen zu tun. Stichproben zufolge ist der Anteil der mit dem Rad zurückgelegten Wege inzwischen deutlich höher als acht Prozent. Das liegt auch an der Entwicklung von Musterstädten wie Karlsruhe, wo der Radverkehr durch eine konsequente Förderung dem Papier nach von 16 Prozent 2002 auf knapp 25 Prozent im Jahr 2012 zugelegt hat. Dennoch bleibt als ein Fazit: „Baden-Württemberg liegt bei der Fahrradnutzung nur im unteren Mittelfeld der Bundesländer, landesweit existiert weiterhin ein hoher Nachholbedarf“. Dabei sind die Voraussetzungen für einen Aufschwung nicht schlecht. 10,7 Millionen Fahrräder soll es im Land geben, statistisch hat also jeder und jede im Land ein Fahrrad zur Verfügung. Darüber hinaus sind 50 Prozent aller Strecken kürzer als fünf Kilometer, dennoch wird die Hälfte mit dem Auto zurückgelegt.

Es gilt also, die Ressourcen besser zu nuten. Dafür haben die Radstrategen acht Handlungsfelder ausgemacht. Zunächst sollen die Radwege ausgebaut werden, wobei bei der Schaffung direkter und komfortabler Angebote vor allem die Kommunen gefordert sind. Unter dem Stichwort „Verknüpfungen“ geht es um eine optimierte Verbindung von Rad- und Öffentlichem Nahverkehr. Dazu gehören Zweiradparkplätze, Fahrradverleihsysteme oder die Mitnahme von Rädern in Bahn und Bus.

Die „soziale Dimension“ des Radfahrens

Auch die Verbesserung der Verkehrssicherheit ist eines der Handlungsfelder, ebenso richtet sich der Blick der Experten auf die „Soziale Dimension“: Fahrradfahren bedeutet laut dieser Definition eine Mobilitätssicherung für weite Kreise der Bevölkerung. Und es dient der Vermeidung von Krankheiten, die durch Bewegungsmangel ausgelöst werden. Konkret heißt das: es wird zuwenig über die Möglichkeiten geredet, die sich mit dem Fahrrad eröffnen. Diese Möglichkeiten müssen besser kommuniziert werden, ebenso die Bereiche Radtourismus und Sport. „Für den Tourismus sind spezielle Angebote und Strukturen erforderlich. Alles zusammengefasst soll zu einer neuen Radkultur im Land führen, einerseits bei Politik und Verwaltung, andererseits bei der Bevölkerung“, heißt es.

Das Dossier formuliert Handlungsanweisungen: so wird beispielsweise angestrebt, dass Kommunen mit mehr als 20 000 Einwohnern Ansprechpartner für das Thema Radverkehr benennen sowie Runde Tische und Fahrradbeiräte einrichten. Dabei sollen sie vom Verkehrsministerium unterstützt, die Fortschritte dokumentiert werden.

Mehr Menschen sollen mit dem Rad fahren

Kosten werden in dem Dossier nicht genannt. Die Investitionen im Bereich Radverkehr seien vom Land erhöht worden und auch die der Kommunen seien spürbar gestiegen, heißt es. „Die Finanzausstattung das Radverkehrs erreicht dennoch weiterhin nicht das Niveau vergleichbarer Regionen oder entsprechender Empfehlungen“, lautet ein Kritikpunkt. Die Autoren des Papiers zitieren den Nationalen Radverkehrsplan: demzufolge ist 2020 ein jährlicher, kommunaler Mitteleinsatz von acht bis 19 Euro je Einwohner erforderlich, um einen guten Standard zu schaffen.

Das große Ziel wird dann erreicht sein, wenn 25 bis 30 Prozent mehr Menschen zum Fahrradfahren animiert werden, alle Radfahrer ihre persönliche Radnutzung um durchschnittlich 25 bis 30 Prozent steigern und gleichzeitig der Anteil der Pedelecs unter den Fahrrädern auf 25 bis 30 Prozent zunimmt. Wobei eingeräumt wird, dass der „Prozess zur Implementierung einer Radkultur“ auf kommunaler Ebene erfahrungsgemäß viele Jahre dauert.