Der Räuber Hotzenplotz wird fünfzig. Zu feiern ist nicht viel, weil schon alles gefeiert ist.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Wieder ein Fünfzigster. Die kleine Hexe hat den runden Geburtstag schon hinter sich. Dazu hatte der Kosmos-Verlag ihr – und sich – ein Spiel geschenkt. Dass der kleine Wassermann ein halbes Jahrhundert alt wurde, ist auch schon eine Weile her. Ihn würdigte der WDR mit einem Hörspiel. Wenn einer sein Leben lang schreibt, werden seine Figuren selbstverständlich nach und nach 50 Jahre alt. Und Otfried Preußler, der Erfinder jener Hexe und jenes Wassermanns, ist seinem hundertsten Geburtstag schon längstens näher als seinem fünfzigsten.

 

1923 wurde Preußler geboren, in Reichenberg, damals Nordböhmen, heute Tschechien. Was wichtig ist für den aktuellen Fünfzigsten. Wäre Preußler andernorts aufgewachsen, hätte es den Räuber Hotzenplotz nie gegeben. Denn den Namen hat Preußler einem Dorf nahe Reichenberg stibitzt, dem Dorf Hotzenplotz eben, das heute Osoblaha heißt, aktuell 1107 Einwohner zählt und unter der Postleitzahl 79399 geführt wird. Hotzenplotz, meinte Preußler, klinge so schaurig-schön nach Bösewicht.

In 34 Sprachen verfügbar

Der Räuber Hotzenplotz ist’s also, der 50 Jahre alt wird. Und Hotzenplotz ist eben nicht die kleine Hexe oder der kleine Wassermann. Die Beliebtheit des bärtigen Bösewichts, so böse, dass er der Oma die musizierende Kaffeemühle klaut, bewaffnet mit Pfefferpistole, Säbel und sieben Messern im Gürtel, lässt sich mit einer Frage umschreiben: „Kann ich das haben?“ Das fragen die Kollegen reihenweise, seit das Buch auf dem Schreibtisch liegt, auf dessen Einband der Räuber über einen Holzzaun lugt. Das Bild stammt, wie alle Hotzenplotz-Illustrationen, von Franz Josef Tripp.

Ob Hotzenplotz die Menschen derart begeistert hätte, wenn er der Räuber Osoblaha geworden wäre? Vermutlich schon, denn in Portugal heißt er Catrabum, in Spanien Saltodemata, in Norwegen Pannebrask, in Korea Hochenpeullocheu und in China Huòchnbùlcí. Die Rechte an dem Buch hält der in Stuttgart ansässige Thienemann-Verlag. Es wurde in 34 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als 7,5 Millionen mal verkauft. Gewissermaßen nebenbei machte der Räuber Hotzenplotz selbstverständlich Otfried Preußler reich. Dessen Leistung würdigte die Bundesrepublik gleich mit zwei Bundesverdienstkreuzen. Am anderen Ende des Ehrungsspektrums verlieh ihm die Odenwald-Gemeinde Reichelsheim ihren mit 1500 Euro dotierten Literaturpreis, den Wildweibchenpreis.

Das liebenswerte Böse

Dem Räuber widmet die Stuttgarter Landesbibliothek zu seinem Fünfzigsten eine Ausstellung. Der Thienemann-Verlag veranstaltet zu seinen Ehren ein Kinderfest und bringt eine kolorierte Sonderausgabe auf den Markt. Viel mehr wird sich nicht feiern lassen, weil schon alles gefeiert ist. Die Augsburger Puppenkiste brachte den Hotzenplotz 1967 auf die Marionettenbühne. Er wurde mit Gerd Fröbe in der Hauptrolle verfilmt. 1979 folgte die Leinwandversion des zweiten Teils. Ihn wollte Preußler nie schreiben, ebenso wenig wie den dritten, aber seine Leser flehten ihn an. Vor sechs Jahren verfilmte Gernot Roll den Räuber neu. Es gibt ihn selbstverständlich als Theaterspiel und sogar als Kinderoper. Letzteres erst seit drei Jahren.

Geschrieben wurde über Hotzenplotz – stilistisch vielleicht ein klein wenig schwer verdaulich: „Die Geschichte vom Räuber Hotzenplotz ist zum Beispiel aus psychoanalytischer Sicht eine lustbesetzte Bewältigungshilfe für die Spannungen, die aus der notwendigen Auseinandersetzung mit egozentrischen Bedürfnissen — verkörpert durch den Räuber — und deren sozialen und moralischen Beschränkungen — verkörpert durch den Wachtmeister Dimpfelmoser — resultieren und die die Entwicklungsprozesse bei einem Kind prägen.“ Oder: „Und obwohl der Räuber Hotzenplotz ein liebenswertes Böses ist, so ist er doch böse genug, genau diese heile Welt in Gefahr zu bringen.“ Das erste Zitat stammt aus einem Buch über Literatur, die zur Therapie von Kindern geeignet ist, das zweite aus „Problemlösung und Kommunikation im Management“.

Der da helfen soll Kinder zu therapieren und Unternehmen zu leiten, war einst eine aus Frust gezeugte Kopfgeburt. Anfang der 1960er brütete Preußler monatelang über seinem „Krabat“. Wie elendig die Geschichte voran kroch und wie oft sie dabei verendete, mag verdeutlichen, dass sie erst zehn Jahre später erschien. Preußler entschied, zur Zerstreuung einfach etwas Lustiges zu schreiben. So entstand der Hotzenplotz samt dem Wachtmeister Alois Dimpfelmoser und dem Zauberer Petrosilius Zwackelmann, als den Geist beflügelnde Entspannungsübung. Wenn überhaupt, lässt sich nur mit einem Zitat Preußlers erklären, wie auf diese Art ein solcher Welterfolg entstehen konnte. Es ist die Antwort auf die Frage, ob es noch zeitgemäß sei, Kindern Geschichten von Feen, Räubern und Zauberern zu erzählen: „Darauf kann ich nur antworten, dass ich das nicht nur für richtig, sondern für wichtig halte – für lebenswichtig, um es genau zu sagen.“