Reportage: Frank Buchmeier (buc)
In dem dokumentarischen Spielfilm „Der Baader Meinhof Komplex“ wird Willy Peter Stoll als kaltblütiger Killer dargestellt.
Ich habe mir den Film nicht angesehen, weil ich mich nicht mit Bildern konfrontieren will, die mich zusätzlich belasten würden. Mein Bruder wurde 1978 erschossen, meine beiden Schwestern starben auch viel zu früh, mein erster Mann verunglückte tödlich, und schließlich verlor ich auch meinen späteren Partner. So viel Leid kann niemand verarbeiten. Ich bin zu einer Meisterin im Verdrängen geworden, manchmal habe ich das Gefühl, dass die furchtbaren Ereignisse gar nicht stattgefunden haben.
Auf den Weg in den Abgrund gerät Willy Peter Stoll Anfang der 70er Jahre. Mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter Susanne zieht er in eine Kommune unterhalb des Killesbergs. Zu der WG Birkendörfle zählen auch Volker und Angelika Speitel. Gemeinsam landen sie bei der Stuttgarter Gruppe der von der früheren KPD gegründeten Roten Hilfen, bekommen dort Kontakt zu dem RAF-Anwalt Klaus Croissant und werden in die Betreuung der in Stammheim inhaftierten Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, und Jan-Carl Raspe integriert. Als im November 74 der RAF-Häftling Holger Meins in der Justizvollzugsanstalt Wittlich infolge eines Hungerstreiks stirbt, beschließen das Ehepaar Speitel und Willy Peter Stoll, dass nicht noch mehr Gefangene sterben dürfen. Sie wollen die Gesinnungsgenossen befreien.
Angelika und Volker Speitel sind zusammen in den Untergrund gegangen, während Ihr Bruder ohne seine Ehefrau der RAF beigetreten ist. Wissen Sie, warum die Paare unterschiedlich gehandelt haben?
Willys Frau war zwar links eingestellt, wie viele junge Menschen in jener Zeit, sie wusste aber, dass man die Welt nicht mit Gewalt verbessern kann. Gott sei Dank blieb sie bei den Kindern. Mich macht es noch heute wütend, dass Willy seine Frau und seine Tochter verlassen hat. Susanne und Grischa, der gleichaltrige Sohn der Speitels, sind wie leibliche Geschwister bei meiner Schwägerin aufgewachsen. Sie und die beiden Kinder mussten in jenen Jahren einiges ertragen. Die drei wurden ständig von der Polizei beschattet, sobald sie ins Auto stiegen, stand ein Uniformierter mit der Maschinenpistole da und fragte: „Wohin wollen Sie?“
Andreas Speitel hat sich Ende der 70er Jahre von der RAF distanziert und vor Gericht als Kronzeuge gegen ehemalige Genossen ausgesagt. Im Gegenzug bekam er eine milde Strafe und eine neue Identität. Wäre das auch ein Ausweg für Ihren Bruder gewesen?
Willy hätte niemanden verraten. Er war bis zu seinem Ende von den Ideen der RAF überzeugt. Das wissen wir von Angelika Speitel, die kurz nach Willys Tod gefasst und zu langjähriger Haft verurteilt worden ist. Ihr Mann hat auch gegen sie ausgesagt.
Wie ist es Ihrer Schwägerin und Ihrer Nichte Susanne später ergangen?
Wenn Susanne als Teenie beispielsweise auf die Jugendfarm gegangen ist, standen die Reporter da, um eine Story über „die Terroristentochter“ zu machen. Auch ihre Mutter hatte lange mit Vorurteilen zu kämpfen. Heute führen die beiden ein normales Leben. Wenn wir in der Familie über Willy reden, merken wir, dass wir ihn alle sehr geliebt haben. Für uns war er der Sohn, der Ehemann, der Vater, der Bruder und nicht der Terrorist.
Das Gespräch führte Frank Buchmeier.